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Berlin: Die "Ossietzky-Affäre" lockte Tim Hoppenheit in die Geschichte

Vom Protestieren hält Tim Hoppenheit eigentlich nicht viel. Der 15-jährige Schüler aus Prenzlauer Berg interessiert sich eher für physikalische Experimente und chemische Formeln als für politisches Engagement.

Vom Protestieren hält Tim Hoppenheit eigentlich nicht viel. Der 15-jährige Schüler aus Prenzlauer Berg interessiert sich eher für physikalische Experimente und chemische Formeln als für politisches Engagement. Doch als er vor einem Jahr im Tagesspiegel einen Artikel über die sogenannte "Ossietzky-Affäre" las, packte ihn die Neugier. Die Geschichte über vier Pankower Abiturienten, die im Herbst 1988 wegen Kritik an der DDR-Führung von der "Carl von Ossietzky"-Oberschule gefeuert wurden, ließ ihn nicht mehr los.

Tim begab sich auf Spurensuche, um herauszufinden, wie aus einem Wandzeitungsartikel kritischer Schüler eine Staatsaffäre werden konnte. Gemeinsam mit seiner Tutorin Sylvia Wolff stöberte er in alten Dokumenten und traf sich mit ehemaligen Betroffenen. Ergebnis seiner fünfmonatigen Recherche war ein schriftlicher Bericht, den er beim Geschichtswettbewerb der Hamburger Kurt-Körber-Stiftung einreichte. Gestern erhielt der Hobbyhistoriker dafür den fünften Preis des Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD) und 500 Mark "Taschengeld".

Bei seinen Nachforschungen stieß der wissbegierige Junge auf unerwartete Erkenntnisse. So lernte er, dass ein DDR-Schuldirektor "außergewöhnliche Vorkommnisse" an staatliche Stellen melden musste und dass sich der Jugendverband FDJ beim Rausschmiss von Querulanten nicht an das eigene Statut hielt. Am meisten schockierten Tim die Verhöre von Schülern unter Mitwirkung der Stasi. Den Höhepunkt seiner Recherche bildete ein Interview mit Philipp Lengsfeld, der wegen des Protests vor elf Jahren von der Penne flog.

In dem Gespräch berichtete der Bestrafte vom bedrückenden Gefühl, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Sein deprimierendes Resümee: "In der DDR war man jederzeit erpressbar."

Für Tim blieb die Erkenntnis, wie sehr sich jugendliches Aufbegehren trotz harter Sanktionen lohnen kann. Durch ihren gemeinsamen Protest konnten die Gymnasiasten erfahren, was Freundschaft bedeutet. "Den Kampf gegen Margot Honecker und die Volksbildung hatten die Schüler verloren", resümierte Tim in seinem Bericht, "für ihr Leben konnten sie nur gewinnen."

Der letzte Satz gilt inzwischen für ihn selbst. Der 15-Jährige ist beim Fernsehen gefragt; Eltern und Lehrer an der "Karl-Friedrich Schinckel"-Oberschule sind aus dem Häuschen. Dabei ist Tim nicht der Einzige, der erfolgreich nach Spuren regionalen Protests suchte.

Knapp 5000 Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 21 Jahren forschten in ihrer Umgebung nach historischen Geschichten. Aus Berlin wurden 36 Arbeiten eingereicht, wobei neben Tim Hoppenstedt auch drei Schüler vom Friedrichshainer "Erich Fried"-Gymnasium einen fünften Preis abräumen konnten. Unter den Hauptgewinnern findet sich aber kein Name aus der Hauptstadt. Tim Hoppenstedt ist der öffentliche Wirbel sowieso nicht wichtig. Er lehnt sich zurück und will von seinem Preisgeld "erst mal einen ausgeben". Dagegen wird sich bestimmt kein Protest regen.

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