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Oft wirkt Berlin wie eine einzige Baustelle.

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Die Pannen-Hauptstadt: Berlin: Wir können alles außer...

Zu dicke U-Bahnen, S-Bahn-Chaos, Tempelhofer Feld und BER – weltgeschichtlich nur ein Wimpernschlag. Und lieber die beste Adresse für Pleiten, Pech und Pannen, findet Hatice Akyün, als friedhofsstill wie Reutlingen oder Bonn.

Neulich in der U-Bahn fiel mir dieser geniale Werbeslogan des Bundeslandes Baden-Württemberg ein: „Wir können alles außer Hochdeutsch.“ Wie ich darauf komme? Nun, die neuen Bahnen der BVG sind zu dick. Um die Waggons einsetzen zu können, müssen Pfeiler und Stützen umgesetzt werden. Nicht auf die Größe, sondern auf die Technik kommt es an, heißt es im Volksmund. Aber das, liebe BVG, ist in einem anderen Zusammenhang gemeint. Und was hat das alles mit Baden-Württemberg zu tun? Ganz einfach, wir Berliner können auch alles, außer U-Bahn, S-Bahn, Flughafen, Bundesliga, Schulreform, Schneeräumung. Gerne dürfen Sie hier Ihre ganz persönliche Hitliste einfügen.

In der Berliner Endlosschleife des Kuddelmuddels

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.

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Die vier größten Feinde der S-Bahn sind? Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und als ob wir nicht schon genug verbaselt hätten, gibt es jetzt wohl auch noch einen Volksentscheid darüber, was mit dem Tempelhofer Feld passieren soll. Die einen wollen das Filetstück meistbietend für Luxuswohnungen versteigern. Andere eine komplette Nichtbebauung, und die Dritten plädieren für einen Mittelweg. Die Textbausteine in den Argumenten variieren beliebig. Was sich in jeder anderen Stadt Kompromiss nennt, endet in Berlin in der Endlosschleife des Kuddelmuddels. Okay, einen Vorteil hat das Berlinersein schon. Wenn ich zum Beispiel in Freiburg den Müll nicht perfekt getrennt bekomme, mich in Bayern verlaufe oder an der Nordsee am falschen Kai auf die Fähre warte, brauche ich nur den Kennedy zu machen. Ich lege meine Stirn in Runzeln und sage: „Ich bin ein Berliner.“ Dann kann ich sofort auf Hilfe und Nachsicht hoffen. Noch etwas Gutes bewirken die Pannen der Hauptstadt: Unser Sinn für Humor wird geschärft.

Was wäre Berlin ohne das Chaos?

Neulich nachts erfuhr ich in einer Wissenschaftssendung, dass die Sonne in einer Milliarde Jahre ausgehe. Und plötzlich machte alles Sinn. Das bisschen Bauverzögerung am Flughafen ist erdgeschichtlich ein Wimpernschlag. Wie sagte schon Ernst Reuter in seiner Rede von 1948, um Solidarität für die eingeschlossene Stadt zu bekommen: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt.“ Manchmal glaube ich, dass Berlin immer noch eine Insel ist, ein Labor, das Versuche nachspielt, die bei anderen schon schiefgegangen sind. Wir üben, testen und experimentieren, um die Chaostheorie zu verbildlichen. Ein Trost bleibt uns Hauptstädtern dennoch. Der Mensch lernt am besten durch Fehler, und die Erkenntnis „lebenslanges Lernen“ bekommt geradezu eine philosophische Dimension.

Das Wissen schafft einen zwar tagtäglich, aber was wäre, wenn wir nichts mehr an die Wand fahren würden? Dann wäre Berlin nicht Berlin, sondern so etwas wie Lüneburg, Reutlingen oder Bonn – geräuscharm, aber friedhofsstill. Und wohin dann mit unserem ganzen Adrenalin und Dopamin, das der Metropolbewohner aufstaut? Irgendwo geht irgendwann irgendetwas schief. Wenigstens sind wir dabei die erste Adresse der Republik. Oder wie mein Vater sagen würde: „Ters giderse insanin isi, muhalebbi yerken kirilir disi.“ Wem alles schiefgeht, dem bricht der Zahn auch beim Puddingessen ab.

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