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Berlin: Die patente Diva

Nadja Michael sieht nicht wie eine typische Opernsängerin aus Sie benimmt sich auch nicht so – dafür sorgen ihre Kinder

Sie hat Geburtstag, und das Handy klingelt am laufenden Band. Als ihre kleinen Töchter Luna und Paloma dran sind, drückt Nadja Michael auf Empfang. Die beiden wollen ihr endlich die Geschenke überreichen.

Die Sopranistin hat einen vollen Terminkalender. Den ganzen Vormittag hat sie in der Deutschen Oper für ihren Auftritt in „Cavalleria Rusticana“ geprobt, die erste Pause nutzt sie für ein Interview. Mit ihrer schmalen Traumfigur, die sie mit Jeans, Cowboystiefeln, einem schicken Feincordmantel und modischem Schmuck unterstreicht, sieht sie gar nicht aus wie die klassische Opernsängerin. „Man muss nicht dick sein, um einen Raum zu füllen“, lacht sie. Wegen ihrer Leidenschaft und ihrer Stimmgewalt wurde sie von den Kritikern oft gelobt. 38 Jahre alt ist sie geworden, „da spielt man nicht mehr herum, da muss man sein Potenzial richtig nutzen“.

Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf bei Leipzig, Tochter eines Vaters, der als Regimegegner im Gefängnis gesessen hat und sich mehr schlecht als recht als privater Fuhrunternehmer durchschlägt. „Als Kind habe ich noch Hunger gekannt.“ Ein großer Luxus waren dreiwöchige Ferien an der Ostsee, für 500 Ostmark in zwei Minizelten. Die Kader sahen in ihr das Potenzial einer Leistungsschwimmerin, aber die Eltern stoppten das, weil sie Angst vor Anabolika hatten. Als sie den Bruder mal zu Proben bei den Thomanern begleitete, verlor sie ihr Herz an den Gesang. Sie hatte schon angefangen in Dresden bei einer jungen Musiklehrerin zu studieren, als sie sich im Sommer 89 mit ihrem damaligen Freund zur Flucht in den Westen entschloss. Das ging im Kofferraum über die tschechische Grenze. „Heute“, sagt sie nachdenklich, „kann man sich das Gefühl gar nicht mehr vorstellen: Ich verlasse etwas, was ich gut kenne, und gehe irgendwohin, wo ich nicht einen Zipfel Ahnung habe, wie es da ist.“

Aufbrüche bestimmten von da an ihr Leben. Zwei Jahre lang blieb sie der Musik fern, jobbte als Verkäuferin und Model, um Geld für die Ausbildung zusammenzubekommen, dann ließ ihr die innere Stimme keine Ruhe mehr. 1991 nahm sie das Studium in Stuttgart auf, ging drei Jahre später in die USA, um in Bloomington, Indiana, weiterzustudieren. Schon in Stuttgart hatte sie Wettbewerbe gewonnen, zunächst als Mezzosopran. Vor knapp zwei Jahren wechselte sie das Fach, wurde Sopran, und seitdem geht ihre Karriere steil nach oben. Die Kinder hat sie nie als Hindernis empfunden, im Gegenteil. „Sie haben mir die Welt eröffnet.“ Natürlich sei das anstrengend und sehr, sehr aufwändig. „Aber ich bin durch die Kinder ein anderer Mensch geworden.“ Vom Vater, auch ein Musiker, hat sie sich getrennt. Die Kinder wachsen ohne Fernseher auf und gehen in Berlin, dem Hauptquartier der Familie, zur internationalen britischen Schule, kommen aber bei den längeren zweimonatigen Engagements, zuletzt in Madrid, ab Ende des Monats in Mailand, immer mit und lernen die Opern live hinter der Bühne. „Für die sind Opern wie Comics, sie spielen sie immer wieder nach, ganz selbstverständlich.“ So wie ihren Kindern möchte Nadja Michael vielen Menschen die Welt der Oper eröffnen. Das ist in ihren Augen sogar eine Verpflichtung der staatlich subventionierten Opernhäuser. Sie begreift nicht, warum nicht viel mehr Leute die Häuser stürmen: „Die Geschichten der Opern spiegeln das Leben der Menschen exakt wieder, darin können sie ihr eigenes Leben wiederfinden.“ Sängerin ist ihr Hauptberuf, aber künftig will sie auch inszenieren. Ein Liederabendprojekt an der Semperoper, Orlando Misterioso, will sie auf einen Film ausweiten.

Lampenfieber kennt sie in unterschiedlichen Abstufungen, dass sie, wie manche Kollegen, vor Auftritten gar nicht spricht, kommt so gut wie nicht vor: „Da müsste ich schon richtig krank sein. Mit den Kindern geht das sonst nicht.“ Hat man je von einer patenten Diva gehört? Von Nadja Michael wird man sicher noch hören.

Auftritte in der Deutschen Oper am 11., 18. und 23. Januar in Cavalleria Rusticana und am 27. in Tosca.

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