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Berlin: Die PDS leidet unter der Gysi-Lücke

Nach dem Rücktritt des Polit-Stars laufen der Partei die Wähler davon / Rückgang im Osten besonders stark

Von Lars von Törne

Der Rücktritt Gregor Gysis hat der Berliner PDS im Bundestagswahlkampf herbe Sympathieverluste beschert. In der Wählergunst fiel die Partei seit dem Rückzug des PDS-Stars vom Amt des Wirtschaftssenators um ein Drittel zurück. Während im Juli noch 13 Prozent der Berliner bei der Bundestagswahl am 22. September für die Sozialisten stimmen wollten, waren es nach einer Umfrage des Forsa-Instituts für die „Berliner Zeitung“ jetzt nur noch acht Prozent. Und würde am heutigen Sonntag das Berliner Abgeordnetenhaus neu gewählt, gäben sogar nur noch 13 Prozent der Hauptstädter der PDS ihre Stimme. Im Juli waren es noch 18 Prozent gewesen. Der Einbruch ist besonders im Osten massiv: Dort sank die Quote der PDS-Wähler von 37 auf 27 Prozent.

Das Thema Gysi machte der PDS auch an den Wahlständen zu schaffen, mit denen die Partei gestern vor Einkaufszentren und auf Plätzen um Stimmen warb. „Ohne ihn wird es schwerer für uns“, sagt die PDS-Spitzenkandidatin für den Großbezirk Pankow, Sandra Brunner, während sie Passanten vor dem Einkaufszentrum Schönhauser Allee Arcaden ihre Wahlbroschüre in die Hand drückt. Die meisten Gespräche mit ihren potenziellen Wählern drehen sich um Gysi: „Eine Minderheit findet seinen Rücktritt richtig und konsequent. Die meisten glauben, er hätte bleiben sollen.“ So wie der Automateneinrichter Helmut Krause (46), der sich von der 27-jährigen Kandidatin ein Infoblatt geben lässt. „Gysi hätte ich gewählt, der war ein Hoffnungsträger“, sagt Krause. „Jetzt weiß ich nicht, ob ich überhaupt wähle.“ Und Verkäufer Mike Fischer (30) sagt: „Eigentlich wollte ich der PDS meine Stimme geben. Wegen Gysis Rücktritt wähle ich jetzt Schröder.“ Für den Rentner Eberhard Groß ist das keine Alternative. Er bezeichnet sich selbst als „stolzen DDR-Bürger“, der „Hammer und Sichel im Herzen“ hat und auf die „westdeutschen Heuchler“ schimpft. „Wen sollen wir denn als Ostdeutsche wählen außer die PDS?“ Ähnlich sehen das hier auch andere Passanten. Ein paar Kilometer südwestlich, vor der Kreuzberger Marheinekehalle, versucht Spitzenkandidatin Bärbel Grygier dem Gysi-Rückzug etwas Positives abzugewinnen. „Einerseits ist das natürlich ein Problem im Wahlkampf. Andererseits ist sein Rücktritt ja vielleicht sogar hilfreich: Jetzt können wir zeigen, dass wir auch ohne ihn etwas zu bieten haben.“ Das sehen auch manche Kreuzberger Wähler so, die sich nach dem Einkaufsbummel am PDS-Stand einen Luftballon mit Friedenstaube abholen, Informationsmaterial geben lassen oder einfach mal der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin von ihren Alltagssorgen erzählen wollen. „Ich habe mich noch nicht entschieden zwischen SPD, Grünen und PDS“, sagt ein Endvierziger. „Jetzt gucke ich mir an, wie sich die PDS ohne Gysi berappelt.“ Zumindest einen Bonus hat der Rücktritt nach seiner Einschätzung schon gebracht: „Die haben einen höheren moralischen Anspruch als andere Parteien“. Für den Krankengymnasten Jürgen Albert (38) macht der Gysi-Faktor keinen Unterschied. „Ich habe Sympathien für die PDS, nicht wegen Gysi, sondern weil sie als einzige Partei gegen den Krieg ist“, sagt der ehemalige Grünen-Wähler. Auch der Zimmermann Andreas Both (40) will diesmal statt der Grünen die PDS wählen, „weil die ein Stachel im System sind“. Die Grünen hätten durch die Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz ihre alten Ideale verraten. Die PDS hingegen, sagt er in spöttischem Ton, „hatte bisher einfach noch keine Möglichkeit, sich unglaubwürdig zu machen.“

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