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Berlin: Die Pläne für Ground Zero sind auf dem Weg nach Manhattan

Vor dem Umzug in die USA – ein Besuch in Libeskinds Berlin-Büro

Schnell und unerwartet kommt die Erinnerung an das Grauen des 11. September hoch, im dritten Hinterhof an der Windscheidstraße 18. Walter Buchien sieht gerade im Nachbarbüro nach dem Rechten und wird Augenzeuge des weltberühmten Architektenentwurfs. Er blickt auf die gigantische, rätselhafte Nadel, die auf einem der Computer-Bildschirme vor ihm funkelt. Er sieht genauer hin: Sie zeigt sich aus allen möglichen Perspektiven, scheint zu wachsen und zu schrumpfen, gar abzuheben wie eine Rakete.

Buchien spürt, dass da was Großartiges, fast Utopisches in den Himmel wächst. Ein junger Architekt erklärt ihm, dass hier die Turmspirale seines Chefs Daniel Libeskind für Ground Zero zu sehen ist. Zu einer Zeit, als noch niemand ahnt, dass dieser Entwurf einmal Grundlage für den späteren Neubau auf dem Gelände des World Trade Centers in New York werden wird. Der Hausmeister kann von sich sagen, dass er als einer der ersten diesen Entwurf gesehen hat.

Eine Etage unter der großen Planungswerkstatt des Architekten hat Walter Buchien sein kleines Büro, als Haustechniker des großen Gewerbehofes. Größere und kleinere Reparaturen auf dem Grundstück gehören zu seinem Alltag, hin und wieder gibt es eben auch oben bei Libeskinds was zu tun. Ganz nebenbei kann er den Mitarbeitern, die nichts dagegen haben, über die Schultern schauen und große Entwürfe sehen.

Hier planen Daniel Libeskind und sein Team aus rund 20 meist jungen und Englisch sprechenden Leuten für New York. Eine Arbeit, die trotz – auch wegen – des grauenhaften Hintergrunds der Terroranschläge motiviert, begeistert und stolz macht. Noch kann keiner wissen, ob sie sich auszahlt, denn der Bauwettbewerb muss erst entschieden werden. Sie entwerfen und verwerfen, zwölf Wochen lang, bis tief in die Nacht.

Hier, auf 200 Quadratmetern im ersten Stock des Gewerbegebäudes entstehen das Turmgebäude, der „Freedom Tower“ und die anderen Gebäude, die sich um Ground Zero gruppieren. Die Planer, die den neuen Stadtteil in Manhattan entwerfen, sehen auf helle, leicht bröcklige, teils weinumrankte vierstöckige Altbaufassaden und eine große Kastanie. Sie schauen auf Autos, die im Hof parken, auf Libeskinds Volvo, den auch die Mitarbeiter fahren dürfen. Beim Anblick der grünumrankten Fassaden von gegenüber planen sie den „vertikalen Park“, jenen himmlisch-irdischen „Garten der Welt“, der die obersten 20 Stockwerke der 541 Meter hohen Turmspirale einnehmen soll.

Und hier erreicht sie Ende Februar der Anruf von Libeskinds Frau Nina: „Die New York Times hat gemeldet, dass wir den Wettbewerb gewonnen haben!“ Wenig später wird das Ergebnis offiziell mitgeteilt, der Sekt in Berlin ist schon kaltgestellt. Ein merkwürdiges Gefühl, so weit entfernt von Manhattan, mitten in Charlottenburg, ein Großereignis für New York und die Welt zu feiern.

Im Büro erinnern sie sich, dass der Chef lange als utopischer Träumer und Luft-Baumeister bespöttelt wurde. Dass er aber gerade hier, im Hof, das geeignete Umfeld für fantastische Entwürfe fand. Von hier aus projektierte er ein Wohnviertel an der Landsberger Allee, Bauten am Potsdamer- und Alexanderplatz, die alle nicht Wirklichkeit wurden, wie der Entwurf eines Geschäftshauses an der Flottwellstraße, das wie eine Rampe aus der Erde ragt. Hier aber plante er vor allem sein großes, schon längst weltberühmtes Berliner Werk: das Jüdische Museum.

Als Libeskind sagt, dass er wegen des nun wichtigsten Bauprojekts die Zelte in Berlin abbrechen und alle Kräfte in New York konzentrieren will, sind die Mitarbeiter begeistert. Sie brennen darauf, mitzukommen.

Nun sind sie aufgebrochen, die letzten Kisten und Container auf dem Weg. Der Hausmeister hat gestern nur noch das kleine Namensschild vom Klingelknopf im ersten Stock zu entfernen. Vorn, am Eingang an der Windscheidstraße, fehlt ohnehin ein Schild. Libeskind hatte es ausdrücklich abgelehnt, er wollte weitgehend inkognito bleiben.

Walter Buchien trauert seinem Nachbarn nach. „Der Libeskind war in Ordnung. Nun ist er eben ’ne echte Berühmtheit. Und die kann nicht immer zwischen New York und Berlin pendeln. Das wird zu teuer.“

Christian van Lessen

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