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Berlin: Die Prozesslawine rollt

24920 Anträge gingen 2003 allein beim Verwaltungsgericht ein

Die Kläger waren am Sturm auf das israelische Generalkonsulat beteiligt. Das war im Februar 1999, es gab drei Tote. Jetzt verlangen die rund 30 Kurden von Deutschland Asyl – das Verwaltungsgericht wird in diesem Jahr darüber entscheiden. Einige der Verfahren sind sogar schon abgeschlossen, und zwar zugunsten der Kläger. Das ist nur eines der interessanten Verfahren, die das Verwaltungsgericht (VG) in diesem Jahr entscheiden will. Ein anderes ist die Klage eines Nachbarn aus dem Corbusierhaus gegen den Ausbau des Olympiastadions. Weitere richten sich gegen den Bau einer Moschee und eines islamischen Kulturhauses in Neukölln.

Die nächst höhere Instanz, das Oberverwaltungsgericht (OVG), entscheidet in diesem Jahr zum Beispiel über Klagen der Zeugen Jehovas, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden wollen – verhandelt wird bereits an diesem Donnerstag – und über die Höhe der staatlichen Zuschüsse für Privatschulen. Im Sommer soll auch der seit Jahren andauernde Streit zwischen der Bahn und dem Land Berlin ein Ende nehmen, in dem es im Kern um die Frage geht, ob die Bahn an das Land einen Ausgleichsbetrag für das Gelände zahlen muss, auf dem der Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof entsteht.

VG-Präsident Alexaner Wichmann und sein Amtskollege vom OVG, Jürgen Kipp, zogen gestern Bilanz für 2003 und gaben einen Ausblick auf 2004. „Die Prozessflut hat sich fortgesetzt“, waren beide einig. Obwohl der Berliner Verwaltungsrichter der effizienteste der ganzen Republik ist, türmen sich bei ihm die Akten immer höher. 231 Verfahren erledigt er pro Jahr, im Bundesdurchschnitt sind es 162. Die Zahl der eingegangenen Anträge ist bei beiden Gerichten kräftig gestiegen.

Beim VG landeten 24 920 neue Anträge, das ist ein Plus von mehr als 1500; beim OVG waren es 2703, ein Plus von über 400. Beim VG konnten dennoch mehr Verfahren erledigt werden als eingingen. Die Durchschnittsdauer hat sich trotzdem auf 20 Monate erhöht, weil viele „Altlasten“ abgetragen wurden. Beim OVG stiegen die Erledigungszahlen zwar auch, aber nicht so stark wie die Eingänge – hier baut sich Rückstau auf. Das Hauptsacheverfahren dauert am OVG mittlerweile zwölf Monate statt früher neun.

Im laufenden Jahr werden die Bearbeitungszeiten Vorgänge eher noch länger werden, befürchtet Kipp. Sein Gericht soll im September in das Haus an der Hardenbergstraße ziehen, in dem bis vor kurzem das Bundesverwaltungsgericht saß. Das war schon in Preußen Sitz des Oberverwaltungsgerichts und ist groß genug, um im Falle der geplanten Länderfusion mitsamt Verschmelzung der Gerichtsbarkeiten auch die Brandenburger Kollegen aufzunehmen. Im Augenblick bekommen die Räume einen frischen Anstrich, auch Leitungen müssen verlegt werden. Da nicht einmal Geld da ist, um die freien Stellen mit dringend benötigten neuen Richtern zu besetzen, werden auch die Malerarbeiten äußerst kostensparend erledigt – von Häftlingen aus dem Gefängnis Tegel.

Fatina Keilani

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