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Berlin: Die Retterinnen kamen aus dem dritten Stock

Zwei Frauen bewahrten eine Gymnasiastin davor, vergewaltigt zu werden. Vor Gericht behauptet der Angeklagte, sich nicht an die Tat erinnern zu können

„Ich habe Schreie gehört“, sagte die Zeugin, „furchtbare Schreie.“ Die 26-jährige Banu H. und ihre gleichaltrige Freundin Yasmin H. zögerten nicht lange. Die Frauen aus dem dritten Stock rannten hinunter in den Keller. Sie sahen das verzweifelte Mädchen und den jungen Mann. Er war gerade dabei, die 15-jährige Schülerin zu vergewaltigen. „Ich schubste ihn weg, wir kämpften mit ihm“, sagte eine der Helferinnen gestern im Prozess gegen den 27-jährigen Sebastian M.

Es geschah an einem Sonntag vor sechs Monaten. Die Gymnasiastin Anja (Name geändert) wollte eine Freundin in der Friedrichstraße in Kreuzberg besuchen. Sie bemerkte den Mann mit dunklen Haaren und eckiger Brille, der ihr vom U-Bahnhof aus gefolgt war. Er sprach sie an: „Was machst du?“ Das blonde Mädchen reagierte nicht, dachte, dass es eine billige, aber harmlose Anmache sei. Als sie bei ihrer Freundin klingelte, drängte er sich plötzlich mit in den Hausflur. „Ich lief zum Fahrstuhl. Er zog mich zur Treppe“, sagte Anja im Prozess.

Ihr blieb eine Aussage vor dem Berliner Landgericht nicht erspart. Weil Sebastian M., der zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt worden war, die Tat bestritten haben soll. Nach Angaben von Prozessbeteiligten hatte er erklärt, er erinnere sich nicht, in dem Haus gewesen zu sein. Er sei vom U-Bahnhof gekommen und dann in eine Prügelei geraten. Den Grund wisse er nicht, soll er behauptet haben.

Vor Gericht kämpfte Anja mit den Tränen. Sie schilderte, wie er sie in den Keller des Hauses trieb. Wie sie schrie und trat, wie er sich auf sie setzte. Bis ihre Retterinnen kamen. Eine der Frauen kümmerte sich nach einer heftigen Rangelei mit dem Täter um Anja, die andere verfolgte den Mann. Yasmin H. rannte und brüllte dabei: „Er hat ein Mädchen vergewaltigt, haltet ihn!“ Eine Gruppe von Jugendlichen konnte den Mann schließlich festhalten. Es war Sebastian M., der in einer betreuten Wohneinrichtung in Mitte lebte. „Er hatte einen starren Blick“, sagte Anja. „Er guckte total kalt und ohne jegliche Regung“, erklärten die beiden Frauen. Regungslos saß er auch im Gerichtssaal und hörte Anjas Worte. „Ich wollte mein normales Leben wieder haben“, sagte die Gymnasiastin. Deshalb sei sie zwei Tage nach der Tat auch wieder zur Schule gegangen.

Nach der Aussage fiel sie ihrer Mutter in die Arme. „Geschafft“, hauchte sie. Wenig später begrüßte die Schülerin ihre Helferinnen. Wieder standen sie wie zwei Schutzengel vor Anja, die sie vor der Tat höchstens als Besucherin im Treppenhaus wahrgenommen hatten. Anja habe das schreckliche Geschehen „ganz gut verarbeitet“, sagte die Mutter und sah in Richtung der Retterinnen. „Weil so schnell jemand da war.“ Der Prozess, in dem es für M. um eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik geht, wird am Freitag fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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