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Berlin: Die Rettung der Kastanien: Motten in die Kiste

Jetzt muss das befallene Laub weggefegt werden. Viele Initiativen kämpfen gegen den Schädling

Anke Kriebel hat eine besondere Beziehung zu Kastanien. „Ich trage in jeder Manteltasche eine Kastanie bei mir, weil ich Frucht und Baum so wunderschön finde.“ Seit Jahren sieht die 64-Jährige beim Blick aus dem Fenster mit an, wie sich die Blätter schon im Sommer bräunlich kräuseln: Die Bäume haben die Motten. „Ich habe gelesen, dass man die Ausbreitung des Schädlings nur mindern kann, wenn man die Blätter entsorgt. Deshalb habe ich mit Unterstützung des Nachbarschaftsheims Schöneberg eine Laubsammelaktion für unsere Fregestraße gestartet“, sagt die pensionierte Lehrerin.

Der Fegetrupp gehört zu den vielen Initiativen in der Stadt, die sich gegen die Miniermotte engagieren. Auch die Grünflächenämter der Bezirke starten jetzt wieder Laubsammelaktionen, unterstützt von der Stadtentwicklungsverwaltung und den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR). Sie appellieren, vor allem auf Schul- und Hinterhöfen, in Parks und Grünanlagen sowie auf Nebenstraßen in den Außenbezirken zu fegen, weil da die BSR nicht zuständig ist.

Die Rosskastanienminiermotte, „cameraria ohridella“, ist zwar nur fünf Millimeter klein – doch ihre zerstörerische Wirkung ist gewaltig. 1998 flog der aus Osteuropa stammende Schmetterling erstmals in die Fallen der Berliner Pflanzenschützer – und hat seitdem alle 48000 weiß blühenden Rosskastanien befallen. Bis zu 300 Eier legt jedes Weibchen auf einem einzigen Blatt ab. Die Larven von jährlich drei bis vier Mottengenerationen fressen sich durch das Blattgewebe und hinterlassen ockerfarbene Minen – daher der Name: Miniermotte. Die Experten des Pflanzenschutzamtes sehen das mit Sorge: Der Baum verliert wertvolles Chlorophyll, treibt mitunter im Herbst nochmal aus und blüht, was ihn schwächt und anfälliger für Frost macht. Vor allem sehr alte und junge Bäume werden so langfristig geschädigt. Noch sind in Berlin – anders als etwa in Wien – keine Kastanien abgestorben. „Doch das droht, wenn die Blätter nicht aufgesammelt und entsorgt werden“, sagt Barbara Jäckel, Miniermotten-Fachfrau beim Pflanzenschutzamt.

Die Lehrer und Schüler der Kastanienbaum-Grundschule nehmen – beinahe selbstverständlich bei diesem Schulnamen – schon seit Jahren regelmäßig die Harke in die Hand. Nach der Wende hatten Angehörige der Schule und des Bezirksamtes Mitte für diesen Namen gestimmt – auch wegen der schönen alten Kastanien im Hof. „Unsere Schüler werden im Sommer oft von diesen kleinen schwirrenden Insekten belästigt, und auch die braunen Blätter finden sie nicht schön“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Andrea Schwienke. Deshalb trifft sich Lehrerin Marita Lehmann mit den Mädchen und Jungen aus der Gartenbau-Arbeitsgemeinschaft regelmäßig nach der Schule auf dem Hof, um Blätter wegzufegen. Denn in jedem Blatt überwintern etwa 20 Puppen, die selbst Temperaturen von minus 30 Grad überstehen. Das Laub schaufeln die Schüler in den Container, den Grünflächenamt und BSR gratis bereit stellen. „Wir machen das, damit die Kastanien auch künftig unser Aushängeschild bleiben“, sagt Andrea Schwienke. Schon im Hochsommer hat der Hausmeister die Stämme mit Wasser abgespritzt. Das Nass fängt sich an den fransigen Hinterflügeln der bräunlichen Motten, so dass sie mit dem Schwall ertrinken.

Wasser, Besen, Harke: Noch setzen die Pflanzenschützer auf konventionelle Methoden. Chemische Mittel sind für die Stadt untauglich, nicht zugelassen und zu teuer. Dank der Laubsammelaktionen hat sich der Befall an Berlins Straßenbäumen in diesem Jahr auf dem Stand von 2004 stabilisiert. Der Unterschied zu den mittlerweile kahlen Kastanien im Wald, deren Laub niemand beseitigt, ist offensichtlich. Auch der verregnete Sommer hatte sein Gutes: Miniermotten vermehren sich schneller, wenn es heiß und trocken ist.

In der Friedenauer Handjerystraße sammeln die Anwohner dank einer Initiative von Mieterinnen aus dem Haus Nummer 39 seit Jahren ab dem Sommer Miniermottenlaub auf – bis zum letzten gefallenen Blatt zu Beginn des Winters. Hier spenden die Kastanienbäume selbst jetzt noch Sauerstoff und leuchten sattgrün.

Annette Kögel

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