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Berlin: Die rollende Sauna

„Lichtschranke!" Nützt nichts.

„Lichtschranke!" Nützt nichts. Zweiter Versuch. „Licht! Schran! Ke!". Kein Effekt. Die Tür geht nicht zu. Am Willen der Fahrgäste liegt es nicht. Die Platznot macht es unmöglich, sich den lautstarken Anweisungen des Busfahrers zu beugen. „Det passiert imma nur wenn de Studenten kommen", macht der seinem Ärger Luft. Man möchte nach vorn gehen, Näheres über die Wechselbeziehung Bustür-Akademiker erfragen. Aber es gibt kein Durchkommen.

Seit die U1 zwischen Breitenbachplatz und Krumme Lanke gesperrt ist, werden die Massen per Bus an die Haltestellen gekarrt. In der offiziellen Version der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) heißt es: „Wegen Gleisbauarbeiten und Brückensanierungen ist der Zugverkehr zwischen Breitenbachplatz und Krumme Lanke von 24. Juni bis 18. August unterbrochen. Omnibusse verkehren im Schienenersatzverkehr."

Während der Stoßzeiten heißt das : Drängeln, stoßen, Platz erkämpfen, schwitzen. Mary Meyer unterwirft sich diesem Martyrium täglich. Von Kreuzberg fährt sie mit der Linie eins an die FU, wo sie im achten Semester Psychologie studiert. Eingezwängt zwischen ihren Leidensgenossen steht sie da, Schweiß rinnt der zierlichen Mittzwanzigerin von der Stirn. „Sie hätten zumindest warten können, bis das Semester zu Ende ist" sagt sie. Haben sie aber nicht. Laut Uwe Kutscher, Leiter der Bauabteilung der U-Bahn, werden zwei Kilometer Gleis erneuert, Schotter und Schwellen ausgetauscht. Auf Dahlem-Dorf soll ein Aufzug eingebaut werden.

100 Jahre U-Bahn feiert Berlin in diesem Jahr. Anlässlich eines solchen Jubiläums sollen im zweiten Halbjahr wieder alle Züge rollen. Doch die Studentin Meyer tangiert das jetzt nicht. Sie erzählt von den Kollegen, die sich die vormittägliche Sauna mit Anfassen nicht mehr antun wollen: „Die kommen jetzt mit dem Auto oder gar nicht." Die BVG sieht das anders. Elf Beschwerdeanrufe nach den ersten drei Tagen Sperre sind laut Pressestelle gekommen: Seitdem bleibe das Telefon ruhig.

„Harvey leidet besonders", sagt Beyloum Bozene. Die aus Polen stammende Verkäuferin ist mit Enkelin und Schwiegertochter Richtung Schlachtensee unterwegs. „Harvey" ist ein weißer Pudel, der bis zur FU aufpassen muß, dass er nicht als Bettvorleger aus dem Schienenersatzverkehr rauskommt. Von Krumme Lanke zurück zum Breitenbachplatz ist es mit der Platznot nicht gar so schlimm. Dafür fahren die Busse manchmal, anders als angeschrieben, nicht alle drei bis fünf Minuten, sondern nur alle zehn Minuten. Es heißt also weiter: Drängeln, schwitzen, durchhalten. Bis 18. August. Dann soll wieder alles auf Schiene sein. Klaus Stimeder

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