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Berlin: Die Rückkehr des Schwedenbechers

Erich Kundel fährt leicht mit dem Finger über eine der neuen Tassen: "Café Sibylle" kann man unter der Glasur fühlen, Rot auf Weiß steht es da. "Porzellan aus Thüringen", sagt Kundel, Vorsitzender des Fördervereins Karl-Marx-Allee e.

Erich Kundel fährt leicht mit dem Finger über eine der neuen Tassen: "Café Sibylle" kann man unter der Glasur fühlen, Rot auf Weiß steht es da. "Porzellan aus Thüringen", sagt Kundel, Vorsitzender des Fördervereins Karl-Marx-Allee e. V, und diese Tasse materialisiert Kundels Hoffnung, dass es mit seiner Allee jetzt endlich bergauf geht. Eigentlich ist die Karl-Marx-Allee nur zehn Fahrradminuten vom Hackeschen Markt entfernt, aber es kommen trotzdem viel zu wenig Leute - und vielleicht liegt das auch daran, dass es hier wenig Orte zum Verweilen gibt. Nun gibt es jedenfalls das Café Sibylle in der Nummer 72 wieder.

Seit der Erbauung der Zuckerbäckermeile 1953 gab es an diesem Ort eine Milchtrinkhalle, dann eine Milchbar, ab Mitte der Sechziger Jahre das Café Sibylle. Seit 1997 standen die Räume leer - bis der Verein sich ihrer annahm. "Während wir hier umgebaut haben, kamen ständig ältere Leute herein und haben immer von einem Schwedenbecher geschwärmt. Der muss wohl ganz toll gewesen sein", erzählt Artur Schneider vom Förderverein. Bei dem Schwedenbecher handelt es sich um Vanilleeis mit Apfelmus und Eierlikör.

An die Tradition von Milch, Eis und Kuchen an diesem Ort wollen die neuen Cafébetreiber anknüpfen, und davon gibt es in der Allee ja bis jetzt bekanntlich nicht allzu viel. Zusätzlich soll es alle zwei Wochen mittwochs einen Kulturabend geben, Lesung oder Musik, und sobald die Mittel gesichert sind, soll eine Ausstellung über das Baudenkmal informieren. Schneider erzählt jetzt auch noch, dass täglich 100 Touristenbusse durch die Straße fahren. "Da müssen wir ran", sagt er und hat schon mal zwei Busparkplätze um die Ecke bewilligt bekommen. Schließlich gebe es keine zentrale Stelle, an der sich Touristen und interessierte Berliner informieren können: Über das Baudenkmal Karl-Marx-Allee, den damaligen Architekturwettbewerb, die fünf "Sieger", die Bausubstanz (Trümmerziegel) und das Alltagsleben in der Allee.

Erich Kundel, der nebenan auch noch die große Karl-Marx-Buchhandlung betreibt, hat manchmal Angst, in seiner Begeisterung für die Zuckerbäckerbauten zum "Allee-Idioten" zu verkommen, der nicht mehr abschätzen kann, ob eine Idee nun wirklich gut ist, oder ob sie ihm sein entflammter Geist als solche vorgaukelt. Aber viel kann hier wohl nicht mehr schief gehen, denkt man, wenn man sich umsieht: Anziehend wirkt es hier, an den Seiten die freigelegten bunten Reste der 50-er Jahre Milchbar-Bemalung, unter der Decke Stuck, vorn drei Originallampen aus Kundels großem Fundus. Vor den weiten Scheiben mit Blick auf die Allee ranken die schlanken Laternen, und es rauschen einige der 70 000 Autos, die täglich hier vorbeifahren. Und es wird in jedem Fall wieder den Schwedenbecher geben.

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