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Berlin: Die Scham-Offensive

„Schwarzfahren ist ein Phänomen“: Die S-Bahn startete ihre Aktionswoche mit verschärften Kontrollen zwischen Neukölln und Tempelhof

Uwe weiß, wie es ist, wenn man erwischt wird. „Du kannst noch so lässig wirken, es ist einfach schrecklich peinlich. Vor allem, wenn so viele Leute zugucken.“ Uwe ist schwarz gefahren, wurde erwischt und viele Leute guckten hämisch in der Straßenbahn zu. Damals in der DDR, als der Fahrschein noch 20 Pfennig kostete. Uwe schüttelt den Kopf, als schäme er sich noch heute. „Schwarzfahren ist keine Frage des Geldes“, sagt er, „Schwarzfahren ist ein Phänomen.“

Uwe, der früher Polizist war, ist einer von 110 hauptamtlichen Kontrolleuren der S-Bahn, von denen etliche am Dienstagmittag bei einem Großeinsatz zwischen den Bahnhöfen Tempelhof und Neukölln pendeln, um Fahrgäste ohne Fahrausweis aufzuspüren – Auftakt einer Aktionswoche der S-Bahn mit verschärften Schwarzfahrer-Kontrollen. Mindestens acht Millionen Euro gehen der Bahn jährlich durch die Lappen,weil immer mehr Kunden schwarzfahren, 74 000 wurden im letzten Quartal erwischt. Und da die S-Bahn öffentlich zeigen will, dass sich die schwarzen Schafe nicht mehr sicher fühlen können, hat sie am Dienstag Journalisten eingeladen, die Jagd mit Kamera und Notizblock zu begleiten. „Die Kontrolleure bitte nicht von vorn oder im Profil fotografieren“, mahnt ein Vertreter der Bahn. Das Gesicht von Kontrolleuren soll sich bei Schwarzfahrern erst gar nicht einprägen. Uwe macht auch aus seinem Nachnamen ein Geheimnis und selbst beim Alter druckst er ein wenig herum. „Sagen wir 45.“ Aber es soll auch nicht um ihn gehen oder um die Kollegen Frank oder Arne oder das Begleitpersonal vom Security-Service, sondern um die erhoffte große Ausbeute an Schwarzfahrern.

„Schön guten Tag, den Fahrausweis bitte!“ Schon wird einer im anfahrenden Zug aus Richtung Schöneberg erwischt, aber der grinst nur und versichert, er sei Journalist und komme auf Einladung der Bahn, um die Kontrollaktion zu beobachten. Die Männer ziehen lächelnd in den nächsten Wagen. „Scheiße“, ruft es dort aus einer Gruppe von vier Mädchen, als sich die Kontrolleure vorstellen, aber der Ruf erweist sich als Fehlalarm, auch rund 20 weitere Schüler zeigen gültige Karten. Frank und Arne, zwei Muskelmänner, sind schon wieder an der Zugtür. Aber Uwe hat zu tun, er bittet einen jungen Mann, mit auf den Bahnsteig zu kommen. „In der Hektik die Fahrkarte vergessen“, sagt der, und Uwe gibt die Daten ins Handterminal ein. Der junge Mann muss 7 Euro zahlen und den gültigen Fahrschein innerhalb von sieben Tagen im S-Bahnbüro am Nordbahnhof vorweisen. Sonst werden die üblichen 40 Euro fällig.

In einer halben Stunde sind fast ein Dutzend Schwarzfahrer erkannt, überwiegend Jugendliche und junge Männer, junge Frauen. Fast alle wollen ihre Karte „vergessen“ haben. Auf dem Bahnhof Tempelhof verrät Uwe, was ihn immer wieder misstrauisch macht. Wenn Leute ihren Fahrschein nicht aus der Hand geben, weil sie fürchten, er halte genauerem Hinsehen nicht stand. Wenn sie den Fahrschein hochhalten, hinter der Klarsichthülle des Portemonnaies, damit man nicht sehen kann, wie abgelaufen oder gefälscht er ist. Wenn Fahrgäste schwitzen oder rot werden. Aber ins Schwitzen kommt diesmal kaum jemand, lässig, fast gelangweilt zücken die meisten ihren gültigen Fahrschein. Uwe hat schon andere Zeiten erlebt, sogar Schläge einstecken müssen. Einem Kollegen sei der Ausweis aus der Hand gerissen und aus dem Fenster geworfen worden.

Am Ende haben die Kontrolleure in nur zwei Stunden 1950 Fahrgäste überprüft, 71 mussten sich schämen.

Christian van Lessen

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