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Berlin: Die Schlusslichter des Läuferfeldes sammelt der Besenwagen auf

Ganz hinten, wo die Beine schwer sind und die Luft langsam ausgeht, bereinigt der "Besenwagen" das Feld. Es ist ein olivgrüner Bus der Bundeswehr, er schiebt beim Berlin-Marathon die letzten Läufer vor sich her.

Ganz hinten, wo die Beine schwer sind und die Luft langsam ausgeht, bereinigt der "Besenwagen" das Feld. Es ist ein olivgrüner Bus der Bundeswehr, er schiebt beim Berlin-Marathon die letzten Läufer vor sich her. Das Gefährt ist Drohung und Erlösung zugleich. Wer zehn Minuten über der Zeit ist, an die sich der Besenwagen halten muss, wird gebeten, auf dem Bürgersteig weiterzulaufen. Wer nicht mehr weiterlaufen will, darf im Besenwagen bis zum Ziel fahren.

Besenwagen klingt vielleicht etwas missverständlich. Um Abfälle am Wegesrand schert sich die Besatzung im Bus nicht, sondern um alle, denen der Weg zu Fuß zu weit geworden ist. Ausgestiegen aus dem Rennen und eingestiegen in den Bus, erwartet den Läufer zunächst einmal das Lächeln von Petra Wolf. Gemeinsam mit zwei Zivildienstleistenden vom Roten Kreuz hat sie die Betreuung der Schlussläufer übernommen. "Wir freuen uns über jeden, der nicht aufhört", sagt sie. Aber manchmal steige sie eben doch aus und frage, ob es denn wirklich noch weitergehe. Versorgt werden die Läufer mit Bananen, heißem Tee und Wolldecken. Die meisten, die nicht mehr können, haben zwischen Kilometer 20 und 30 aufgegeben. Da wird der Bus zur Notaufnahme für enttäuschte Sportler, die es am meisten schmerzt, das Ziel nicht mehr zu erreichen.

Hinter Kilometer 21 steigt einer erschöpft in den Bus und seufzt: "Mein zehnter Marathon, meine zehnte Busfahrt." Etwa zwanzig Läufer haben die beiden Busse, die sich am Ende des Feldes abwechseln, bis Kilometer 35 aufgelesen und zwischendurch beim Ziel abgeliefert. Für eine kurze Strecke ist Petra Wolf mit den Zivildienstleistenden und dem Busfahrer sogar alleine. Erst bei Kilometer 37 steigt der nächste Fahrgast zu, Rudolf Wrede, 55 Jahre alt aus Minden in Westfalen. "Erst ist es noch ganz gut gelaufen", erzählt er. Aber dann habe er Schmerzen im Knie verspürt. "Ich habe mich noch massieren lassen und bin weitergelaufen. Irgendwann ging nichts mehr." Einige treue Zuschauer, die bis zum letzten Teilnehmer an der Strecke geblieben sind, winken auch Wrede zu, der mit traurigem Gesicht im Bus sitzt. "Es ist unheimlich bitter, die Eisernen vor sich laufen zu sehen und selber hier drin zu sitzen", sagt Wrede. Auf eine Banane aus der großen Kiste verzichtet er.

Fünf Kilometer folgt der Wagen Friedegard Liedtke. Mit 84 Jahren ist sie die älteste Teilnehmerin. Bis zum Fehrbelliner Platz bleibt sie noch in der vorgegebenen Zeit, dann läuft auch sie auf dem Bürgersteig weiter und wird vom Bundeswehrbus überholt. Meist bewegt sich der Besenwagen so langsam, dass sich die rote Nadel auf dem Geschwindigkeitsanzeiger kein Stück bewegt. Im Autoradio berichtet ein Sender über die großartige Leistung der besten Läufer.

Kurz vor dem Ende wird der Besenwagen noch zum Lumpensammler. Die Tasche einer französischen Läuferin und eine Brille werden abgegeben, die im Bus mit zum Ziel fahren sollen. Ein Amerikaner hinkt mit schmerzverzerrtem Gesicht heran und leistet Wrede unfreiwillig Gesellschaft. Als der Besenwagen die letzten Meter auf dem Kurfürstendamm zurücklegt, wären die beiden wahrscheinlich am liebsten ganz tief in ihren Sitzen versunken. "Da kommt der Besenwagen", sagt der Marathon-Sprecher, und alle Hälse recken sich, um zu sehen, wer denn den Fahrdienst in Anspruch genommen hat. Am Wittenbergplatz ist die Mitfahrgelegenheit beendet. Rudolf Wrede steigt aus, der Amerikaner auch. Die Aufgabe von Petra Wolf ist beendet. "Und was machen wir jetzt mit den Bananen?"

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