zum Hauptinhalt

Berlin: Die schöne Schwester

Ruinen sind wieder hergerichtet, die Außenklo-Quote ist von 20 Prozent fast auf null gesunken – unsere letzte Tour führt durchs neue Potsdam. Wir erzählen von einem Gartenphilosophen, der die Kleine Nachtmusik züchtete, und einem sanierungsverliebten Sat1-Moderator

STADTTOUR 8: PALÄSTE, LUXUSVILLEN UND EINE NORWEGISCHE MATROSENSTATION

Jahrelang fuhr man nach Paris, wenn man mal ein richtig schönes Schloss sehen wollte. Und wenn die Daheimgebliebenen hinterher fragten, wie es war, fiel einem statt der Pracht von Versailles spontan nur der Wahnsinnsverkehr auf dem Autobahnring ein…

Man hätte es einfacher haben können. Man hätte nach Sanssouci fahren können. Viele waren inzwischen da. Für andere aber lag und liegt Potsdam irgendwie nicht am Weg oder schon wieder zu nahe, um interessant zu sein. Dabei dauert die S-Bahn-Fahrt aus der Berliner Innenstadt nur eine Dreiviertelstunde. Dann, hundert Meter jenseits des Bahnhofs, auf der Freundschaftsinsel, idyllischer Auftakt unserer Potsdam-Tour, wird alles gut – dank Karl Foerster und Jörg Näthe.

Foerster, 1874 geboren (gestorben 1970), hatte schon von Kindesbeinen an Gärtner werden wollen, allen Widerständen zum Trotz. Denn damals galt dieser Berufswunsch so wenig wie der des Kutschers – und immerhin war der Vater ein geachteter Astronom. Doch Karl Foerster wurde Gärtner – und mehr als das: Sein Haus wurde sogar zum Treffpunkt von Potsdamer Feingeistern und Musikliebhabern. Foerster, der Gartenphilosoph, züchtete mehr als 300 Stauden – Phlox zum Beispiel oder die Sorten „Mainacht“, „Sternenhimmel" und „Kleine Nachtmusik“. Er schrieb fast 40 Bücher. Und: Nach seinen Ideen entwickelte sich die zwischen zwei Havelarmen gelegene Freundschaftsinsel inmitten der Stadt Potsdam von einer Kleingartenanlage zum viel bewunderten öffentlichen Park.

Zeitsprung. Vom Gärtner damals zum Gärtner heute, zu Jörg Näthe, 49 Jahre alt, der bei Sonnenschein gern mit freiem Oberkörper über „seine“ Insel läuft. Auch in ihm steckt ein Gartenphilosoph. Schon während seiner Ausbildung zum Landschaftsgärtner vor mehr als 30 Jahren hatte er die Freundschaftsinsel kennen gelernt. Nach dem Studium bat er die Stadtverwaltung dann, das lieb gewonnene grüne Eiland seiner Pflege zu überlassen; gerade hat er den Verein „Freunde der Freundschaftsinsel“ gegründet. „Sein“ Garten, der kostenlos zugänglich ist, sieht tipptopp gepflegt aus – ein angenehmer Beginn für den Spaziergang durchs neue Potsdam. Nur beim Picknicken sollten die Besucher vorsichtig sein: Näthe kann ziemlich ärgerlich werden, wenn Insel-Gäste die Reste einfach liegen lassen. „Warum nur werfen die Menschen am Ende der Zivilisationskette wieder mit den Knochen um sich wie am Anfang…“, schimpft er dann vor sich hin.

Wer von der Insel aus weiterspaziert, in die Innenstadt, der erkennt bald, dass Berlins kleine, aber ältere Schwester zugleich die schönere ist – heutzutage wieder, zumindest. Rund 250 Millionen Euro sind in den vergangenen zehn Jahren allein in das Karree westlich der Friedrich-Ebert-Straße geflossen. Die Außenklo-Quote sank von 20 Prozent fast auf null, die meisten Fassaden leuchten in frischer Farbe, einstige Ruinen sind hergerichtet und bewohnt. Und auch der Wiederaufbau des Stadtpalais’ an der Brandenburger Straße hat begonnen. In eineinhalb Jahren soll das Kaufhaus die Kundschaft in die Innenstadt zurückholen. Die hat es nötig, denn schon eine Ecke von der Fußgängerzone entfernt, in der Gutenbergstraße etwa, fehlt immer noch oft die Füllung hinter den Fassaden.

In der DDR war Potsdam nichts Besonderes. Nur eine von 15 Bezirksstädten, ziemlich weit weg von Berlin. Entsprechend trist sah es aus. Das Belvedere auf dem Pfingstberg, das freien Blick nach West-Berlin bot, verfiel. Die traumhaft gelegene Meierei im Neuen Garten verschwand hinter den Grenzanlagen. Die Vorstellung vom Zustand der Stadt der Preußenkönige nach zehn weiteren Jahren DDR ist glücklicherweise hinfällig geworden. An ihre Stelle tritt die Erkenntnis, dass der Soli auf dem Gehaltszettel zwar umstritten sein mag, aber doch oft gut angelegt ist.

Einer, der mehr als nur den Soli in Potsdam investiert hat, ist Sat-1-Moderator Ulrich Meyer. Seine Frau und er haben nach 1990 ein paar an Opulenz kaum zu übertreffende Villen entlang der Mangerstraße in der Berliner Vorstadt gekauft. „Meine Frau nennt das immer so schön ,die Altersvorsorge‘. Es ist unser Beitrag zum Aufbau Ost“, sagt Meyer. „Die Gebäude sahen schlimm aus. Aber ihre Dornröschenschönheit hat uns fasziniert.“

Meyer ist einer von vielen, die Geld nach Potsdam gebracht haben; große Verdienste haben sich zum Beispiel auch Prominente wie Werner Otto oder die Hermann Reemtsma Stiftung erworben. Jedoch geschah die Veredelung teils auch zum Verdruss der Bewohner, die die sprunghaft gestiegene Miete nicht mehr bezahlen konnten oder nach dem Umbau einer Anwaltskanzlei weichen mussten. Solche Geschichten gab es in Potsdam wohl zahlreicher als anderswo. Aber das Stadtbild, das dabei entstanden – oder besser: wiedererstanden – ist, sucht seinesgleichen.

Die königliche Pracht von Potsdam belegt kurioserweise ausgerechnet die These eines bedeutenden Architekten der DDR, Manfred Prasser: Die Demokratie könne nur Mittelmaß hervorbringen, schrieb er einst. Ausschreibung, Wettbewerb, Kostendruck – jedes Bauwerk ein Kompromiss. Das wahrhaft Geniale entstehe erst, wenn der König zu seinem Baumeister sage: „Baue er mir ein Schloss, das selbst die italienischen Meister erblassen lässt!“ Wie Sanssouci zum Beispiel.

Bleibt noch die Frage nach der Stimmung in der Stadt. Der Aufbruch Potsdams ist – mit Verlaub – wohl größtenteils der Nähe zu Berlin zu verdanken, es hatte das Glück, aus dem Schatten der Mauer direkt ins Rampenlicht der neuen Hauptstadt geraten zu sein. Der Blick in die anderen beiden Ex-DDR-Bezirksstädte Brandenburgs zeigt seine glückliche Lage: Cottbus kämpft gegen Entvölkerung, die werbewirksame Bundesgartenschau ist acht Jahre her, und Energie spielt wieder zweite Liga. Die Stadt liegt – geografisch und gefühlt – weitab vom Schuss. Ähnlich geht es Frankfurt (Oder), wo sich zwar die Europa-Universität Viadrina etabliert hat. Aber wer mit dem Studium fertig ist, schaut sich meist anderswo nach einem Lebensmittelpunkt um. In Potsdam, zum Beispiel.

Unsere acht Touren finden Sie auch im Internet – samt Karten, Reportagen und Tipps: www.tagesspiegel.de /stadtspaziergang.

Zur Startseite