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Berlin: „Die Schröders sind eingezogen“ – mit Sack und Pack in eine Ruine

In der Pohlstraße wollen ein Künstler und ein Gastwirt mit einer Installation zum Denken anregen – und bringen damit etwas Farbe ins graue Revier. Ein paar Gäste wären aber auch nicht schlecht

„Die Schröders sind eingezogen“ vermeldet in der Pohlstraße 72 ein Zettel neben einem gelben Briefkasten. Daneben ragt eine Palme – groß und giftgrün. Aufsehen erregend in der stillen Straße. Die kreuzt die Potsdamer – bislang wohl das Bedeutendste, was man von ihr sagen kann. Leben ist woanders. Kunden auch. An das gestylte Angebot von „Wein und Blumen“ erinnert nur noch das Ladenschild, und die beiden mutigen Verkäufer schöner Designer-Lichtquellen und feiner Stoffe verdanken ihr händlerisches Überleben finanzkräftiger Stammkundschaft aus besseren Gegenden.

Die erhoffte Sogwirkung des Potsdamer Platzes blieb bislang aus. Keine Touristenströme ergießen sich von dort in die „Potse“ und versickern neugierig und kauffreudig in den Seitenstraßen. Auch die Besucher des „Wintergartens“ bringen nichts. Sie kommen mit dem Bus oder dem Auto – da ist die Pohlstraße gerade mal zum Parken gut. Und nun für eine Palme. Neben dem Lokal „Phillis“ wächst sie an dem verwitterten Zaun empor, hinter dem ein Münchener Investor vor Jahren ein Ruinengrundstück in einträgliche Eigentumswohnungen verwandeln wollte. Der Mann ging Pleite, die Ruine blieb.

Genau hier haben sich „die Schröders“ eingerichtet – ärmlich, aber kunstvoll. Da hängt in einem Fenster ein Schirm – fast wie im „Armen Poeten“ von Spitzweg, daneben liest eine Blondine am Fenster – ist es Doris oder die „Lesende Frau“ Vermeers? Auch einen gedeckten Tisch erspäht man hinter einem Fenster und einen Renaissance-Engel, der vor der Ruine Wache schiebt. Im verlotterten „Vorgarten“ räkelt sich eine füllige Frau im schmutzigen Gras; an anderer Stelle ruft scheinbar eine verhuschte magere Gestalt unter einer Palme zu Tisch – spätestens hier lassen Gaugauin, Picasso, Munch und Nikki de Saint Phalle kräftig grüßen.

Der Sozialstaat auch. Dass man sich in dessen Ruinen einrichten müsse, so wie „die Schröders“ es in der Pohlstraße 72 vorleben – das schwebte den „Schröder“-Machern Dieter Fenz und Ladislaus Pradl bei ihrer Installation unter anderen vor. Dialog-Kunst nennen sie das. Denkt doch jeder Betrachter der abends romantisch beleuchteten Ruinenidylle dabei an etwas anderes: Ganz sicher die meisten sofort an Doris und Gerhard im nahen Kanzleramt. Nicht immer an (beabsichtigte) andere Ähnlichkeiten – von den Kiez-Anwohnern assoziiert wohl kaum einer die bunte Pappgesellschaft mit berühmten Werken der Kunstgeschichte. Und manche glauben sogar, dass da wirklich jemand wohnt. Ist doch möglich in desaströsen Zeiten wie diesen, könnte man denken. Soll man vielleicht auch.

Was sich die Künstler Fenz und Pradl mit ihrer Installation aber auch dachten und wozu sie anregen wollten – es bringt vor allem Farbe ins Grau der Straße. Und macht vielleicht dem einen oder anderen Betrachter auch ein wenig Mut, selbst nach Farbe im Leben zu suchen, mit Ironie und Witz, mit Spiel und Herz.

Fenz könnte das recht sein. Vom „neuen Leben aus Ruinen“, oder besser gesagt: etwas frischem Wind in der Pohlstraße könnte er profitieren – als Wirt des „Phillis“. Mit dem Lokal verdient sich der künstlerische Autodidakt seit 1991 seinen Lebensunterhalt – gelernt hat er Werkzeugmacher und als solcher zuletzt bei Siemens gearbeitet.

Heute bietet er stattdessen Leberkäse, Spiegelei und Bratkartoffeln oder Thaigemüse mit Ingwer und Reis an – Hausmannskost und Exotisches. So, wie sich auch die Pohlstraße bietet – wenn man sich verirrt. Oder dort eingezogen ist – wie gerade „die Schröders“.

Heidemarie Mazuhn

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