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Berlin: Die Seelentankstelle

Ein fast vergessenes Gotteshaus bei Nauen wird als Autobahnkirche gerettet Spezielle Orte der Ruhe gibt es in Brandenburg auch für Radfahrer.

Zeestow - Der Wind aus dem Osten trägt das Dröhnen der Autobahn manchmal direkt bis zur 800 Meter entfernten Dorfkirche in Zeestow. Doch der viel befahrene Berliner Ring wird in dem 500 Einwohner zählenden Dorf nicht nur als Belastung, sondern auch als Chance angesehen. Denn hier, bei Nauen, soll die „Autobahnkirche“ entstehen.

Nach dem Vorbild von inzwischen mehr als 30 Gotteshäusern, die bundesweit an großen Verkehrsstraßen den Reisenden als Orte der Besinnung und Rast zur Verfügung stehen, soll auch Zeestow in spätestens zwei Jahren einen Wegweiser mit einer stilisierten Kirche auf weißem Grund erhalten.

In Brandenburg gibt es derzeit zwei Autobahnkirchen: in Duben an der A 13 in Richtung Dresden und in Werbellin an der A 11 nach Stettin beziehungsweise Usedom und Rügen. Zeestow wäre die erste „Seelentankstelle“, wie diese Kirchen auch genannt werden, am fast 200 Kilometer langen Berliner Ring. In maximal zwei Minuten ist die Wegstrecke von den Ausfahrten Wustermark/Berlin-Spandau bis zum Dorf zurückgelegt.

„Dank der Idee einer Autobahnkirche haben wir das Geld für eine Sanierung zusammenbekommen“, sagt Pfarrerin Rajah Scheepers vom Evangelischen Kirchenkreis Falkensee, die ein mehrseitiges Konzept erarbeitete. „Allein die Sanierung der äußeren Hülle kostet 900 000 Euro.“ Diese kommen von der EU, vom Land und Bund sowie von der Landeskirche und dem Kirchenkreis. „Das schon 2009 begonnene Projekt ist wirklich ein großes Gemeinschaftswerk“, ergänzt Pfarrer Bernhard Schmidt. Er erzählt von Benefizkonzerten, Spendensammlungen und einem bevorstehenden Fernsehgottesdienst auf der Baustelle und lobt die SPD-Bundestagsabgeordnete Angelika Krüger-Leißner für den „richtigen Weg zu den Fördermittelprogrammen“.

Ohne diese vielen Ideen würde die Kirche aus dem Jahre 1850 vielleicht schon gar nicht mehr stehen oder nur noch als Ruine zu erkennen sein. Denn eine aktive Gemeinde gibt es im Dorf schon lange nicht mehr. An den letzten Gottesdienst kann sich kaum noch jemand erinnern. Dieser liegt schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Die Gläubigen müssen zu Gottesdiensten andere Orte aufsuchen. Deshalb stößt die Idee einer Autobahnkirche bei den meisten Einwohnern durchaus auf Zustimmung, obwohl sich die meisten nur wenig darunter vorstellen können. Mitunter zu hörende Befürchtungen vor einem wachsenden Verkehr oder gar parkenden Lastwagen im Dorf treffen jedoch nach den Erfahrungen in den beiden Brandenburger Autobahnkirchen nicht zu. In Duben in der Niederlausitz schätzt man die Zahl der jährlichen Besucher auf 3000 bis 5000 Menschen, die in der Zeit zwischen 8 und 20 Uhr für einen Moment in den Kirchenbänken Platz nehmen. Die Eintragungen im „Anliegenbuch“ zeugen von ganz unterschiedlichen Beweggründen. Da wird Gott für die unfallfreie Fahrt gedankt, der Segen für die nächsten Etappen erbeten oder an den Verlust naher Angehöriger erinnert. Fast immer findet sich unter diesen Eintragungen der Dank für die „Möglichkeit innezuhalten“.

Nach einer 2007 veröffentlichten Umfrage unter Besuchern von Autobahnkirchen sind nur zwei von fünf Gästen tatsächlich kirchlich gebunden. Es handelt sich vorwiegend um Menschen über 60 Jahre, wobei die Zahl der Männer gegenüber der der Frauen dominiert. Die meisten Besucher verfügen über einen mittleren und höheren Bildungsgrad. 49 Prozent hatten einen Besuch einer Kirche am Wegesrand schon vorher geplant. Vor allem Urlaubsreisende und Berufspendler halten eher spontan an und folgen zu 55 Prozent dem Hinweisschild an der Autobahn.

Zeestow gehört damit zu den rund 600 Dorfkirchen im Land Brandenburg, die seit 1990 vor dem Verfall gerettet werden konnten. Nach Angaben der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz gelten derzeit von den 1400 Gotteshäusern noch 200 als in ihrer Existenz gefährdet.

Dabei mangelt es nicht an Ideen. In Glambeck bei Joachimsthal in der Schorfheide und in Neuentempel im Oderland bei Seelow stehen „Fahrradkirchen“. Erst kürzlich eröffnete in Kienitz im Oderbruch inmitten des Kirchenschiffes, dem seit den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg das Dach fehlt, ein „Radwegecafé“. Hier erhalten die Radler auf der Oder-Neiße-Trasse nicht nur leichte Kost und Pannenhilfe, sondern auch den Zugangscode für eine schnelle Internetverbindung. Der Name ist Programm: „Himmel und Erde“. Claus-Dieter Steyer

Fotos und kleine Geschichten zu Deutschlands Autobahnkirchen

unter der Internetadresse

www.autobahnkirche.de

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