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Berlin: Die Sonne schlägt alle Rekorde

Der September war so warm wie seit 200 Jahren nicht mehr, aber jetzt steht der Herbst vor der TürHans Toeppen Sogar die Äpfel sind in diesem Jahr acht Tage früher reif geworden. Rotwangig plumpsten sie ins Gras oder ins Körbchen - statistisch vorzeitig und üppig von der Sonne verwöhnt.

Der September war so warm wie seit 200 Jahren nicht mehr, aber jetzt steht der Herbst vor der TürHans Toeppen

Sogar die Äpfel sind in diesem Jahr acht Tage früher reif geworden. Rotwangig plumpsten sie ins Gras oder ins Körbchen - statistisch vorzeitig und üppig von der Sonne verwöhnt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Berlin unter den deutschen Großstädten wegen seiner kontinentalen Ostlage von der Sonne besonders umschmeichelt wird, so ist der Beweis erbracht. Dieser September hat nicht nur den Jahrhundert-Rekord gebrochen. Er hat auch gleich noch das vorige Jahrhundert geschlagen. Der September 1999 liegt mit seinen warmen Tagen für mindestens zwei Jahrhunderte an der Spitze - soweit die preußisch-hauptstädtischen Aufzeichnungen überhaupt zurückreichen.

Eigentlich ist es Herbst. Eigentlich müsste man längst heizen. Tatsächlich kann man abends im Biergarten sitzen, und das Bier ist immer noch deutlich kälter als die Luft. Tagestemperaturen von 17 Grad wären normal. Und nachts bringt einen der Herbst um diese Zeit sonst längst ins Bibbern, die Pullover kommen aus dem Schrank. Tatsächlich herrschte gestern aber wieder gleißender Sommer. Eine kleine Anstrengung der Sonne am Nachmittag reichte aus, um das Thermometer in Dahlem wider Erwarten doch noch auf 25,4 Grad zu treiben. Am steinigen und wärmeren Alexanderplatz waren die Leute da allerdings schon längst ins Schwitzen geraten. Noch so ein Tag also, der Freiluft-Freunden und Statistikern das Herz wärmt. Der 16. dieses Monats.

Der Zwei-Jahrhunderte-Rekord stammt schon vom Donnerstag. Mit 25,2 Grad war das der 15. Sommertag des Monats, und damit sind nun nicht nur der September 1947 (13 Mal mehr als 25 Grad), sondern auch gleich noch der von 1886 (14 Mal) in den Schatten gestellt. Um das feststellen zu können, brauchten die Meteofax-Meteorologen schon einen Rückblick in die preußische Geschichte. Die Dahlemer Notierungen beginnen erst im Jahr 1908.

Aber der meteorologische Dienst der DDR hat einmal die Aufzeichnungen ausgewertet, die seit 1829 aus verschiedenen Berliner Innenstadt-Stationen vorlagen. Dort galt bisher der September des Jahres 1886 als Rekordhalter. Kaiser Wilhelm I. regierte noch.

Was diese 15 sommerlichen Tage im Frühherbst bedeuten, kann man nicht nur im Biergarten und im Tiergarten sehen, sondern auch in der Statistik. Sie bedeuten nämlich eine Art Luxus-Sommer. Ein durchschnittlicher Juli bringt es gerade einmal auf zehn Tage mit mehr als 25 Grad, ein August auf neun und ein Juni auf acht. Und häufig braucht man eher einen Regen- als einen Sonnenschirm.

Die späte Sonne erfreut nicht nur die Äpfel und die Reben, sondern natürlich auch die Wirte. Am Grunewaldturm saß im vorigen Jahr um diese Zeit schon alles am warmen Ofen, diesmal harren die Letzten im Dunkeln auf der Terrasse aus. "Vielleicht 40 Prozent mehr" an Gästen hat die Wärme dem Ausflugsrestaurant beschert, sagt Frank Delling oben auf der Haveldüne. Und auch bei "Zenner" an der Spree in Alt-Treptow sitzen täglich noch 150 Leute im Garten am Fluss. Nur bei "Golgatha" am Kreuzberg wundert sich die Wirtin, dass das Publikum sich den milden Abenden seit einer Woche gastronomisch verweigert. Sind die Kreuzberger Nächte nicht mehr lang? Werden sie nur in Mitte noch genossen oder in Mariendorf?

Astronomisch betrachtet, werden sie aber natürlich immer länger. Von den 25 Grad "müssen wir uns nun verabschieden", sagt Globig. Heute könnten es noch 23 werden, morgen 20. Schauer sind nicht ausgeschlossen, Regenschirme sind ratsam. Den Marathon-Läufern droht keine Hitzeschlacht. Der wirkliche Herbst steht nämlich vor der Tür.

"Tanken Sie Sonne," raten die Medizin-Meteorologen. Wetterfühlige und kranke Menschen werden mit der stärkeren Bewölkung und frühen Dunkelheit ihre Probleme bekommen. Da der Körper sich umstellen müsse, so hat ein Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst erklärt, solle man auf eine vitaminreiche Ernährung achten und "die noch vorhandenen guten Wetterabschnitte nutzen, damit der Körper sich abhärten kann und nicht so schnell ermüdet." Das ist für dieses Jahr wohl der letzte Aufruf. © 1999

Hans Toeppen

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