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Berlin: „Die SPD soll weg vom Leistungsstaat“

Annette Fugmann-Heesing im Streit mit der Parteilinken: Chancengleichheit gibt es auch, wenn weniger Geld zu verteilen ist

Zwei Fraktionen streiten in der Berliner SPD um die Politik in Zeiten der Geldknappheit. Entzündet hat sich der Streit am Leitantrag für den Landesparteitag am 17. Mai. Darin beschreiben SPDRealpolitiker unter Führung der früheren Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, wie sie „Berlin erneuern“ wollen. Die Thesen zur Sparpolitik, zur Staatsquote und die Aufforderung, „möglichst viele für ihre eigenen Angelegenheiten zu aktivieren“ lassen die Linke in der SPD frösteln. Sie fürchtet den Abschied vom fürsorglichen Staat, der Konflikte löst, indem er möglichst alle Ansprüche befriedigt. Annette Fugmann-Heesing begründet hier ihre Position im Streit um die Linie der SPD.

Kritiker des Leitantrags sagen, das Papier bräche mit sozialdemokratischen Traditionen. Welche Traditionen muss die Berliner SPD beenden?

Wir stehen zu unseren zentralen Werten Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Es ist unsere Aufgabe, unter veränderten Rahmenbedingungen Wege aufzuzeigen, damit diese Gesellschaft sozial gerecht bleibt. Die Berliner SPD geht genau diesen Weg in ihrem Leitantrag. Wir müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Arbeit entsteht und dass Menschen die Möglichkeit haben, am Arbeitsleben teilzunehmen. Voraussetzung dafür ist der Ausbau des Bildungssystems, die Stärkung der Forschungs- und Wissenschaftslandschaft und Verbesserung der Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln in Berlin.

Sie wollen „den Umfang der staatlichen Aufgaben und Ausgaben reduzieren“ – Teile der Basis lehnen das ab. Fehlt dort das Verständnis für die Finanzlage der Stadt?

Wir müssen die reale Situation der Stadt sehen und davon ausgehend Antworten für die Zukunft finden. Die Menschen erwarten das von uns.

Auch Ihre Kritiker sehen die Notwendigkeit, darüber zu entscheiden, was das Land Berlin noch bezahlen kann und was nicht mehr – von Privatisierungen halten sie aber nicht viel. Kann der Senat noch Freiraum für Entscheidungen gewinnen, ohne die Privatisierungspolitik voranzutreiben?

Wir müssen unser Geld sinnvoll einsetzen. Mit Steuergeldern sollen Leistungen für die Bürger finanziert werden. Ich will lieber die Schulen verbessern als für unternehmerische Fehlentscheidungen aus dem Landeshaushalt bezahlen.

Was bedeutet das für die Fortsetzung der Privatisierungspolitik?

Dass wir die landeseigenen Gesellschaften nur behalten wollen, wenn sie ausreichende Eigenkapitalverzinsung bringen und richtig gesteuert werden.

Es geht der SPD auch ums Selbstverständnis. Wollen Sie aus staatsnahen Sozialdemokraten staatsferne Sozial-Liberale machen?

Wir sehen den Staat positiv, gerade deshalb müssen wir ihn durch neue Strukturen leistungsfähig erhalten. Auch den notwendigen Umbau der sozialen Sicherungssysteme schaffen nur staatsnahe Sozialdemokraten wie wir.

Um es auf einen etwas ideologischen Begriff zu bringen: braucht die Berliner SPD mehr Liberalismus?

Wenn Liberalismus bedeutet, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Einzelne sich entwickeln kann, dann ist das sicher genau so auch ein Anliegen von Sozialdemokraten. Doch der sozialdemokratische Ansatz geht weiter, er fordert nicht nur Freiheit für den Einzelnen, sondern auch Chancengleichheit und Gerechtigkeit.

Was gehört ganz oben auf eine Agenda 2010, die der Senat sich vorzunehmen hätte?

Ganz oben müsste ein Bildungssystem stehen, das wettbewerbsfähig ist und allen Chancen in einer globalisierten Welt eröffnet. Zweitens müssen wir die Zukunft sichern durch die Konsolidierung der Finanzen und durch neue Strukturen, die mehr bürgerschaftliche und wirtschaftliche Kreativität freisetzen. Also weniger Verwaltung und ein bürger- und investorenfreundliches Klima.

Der stellvertretende Landesvorsitzende Andreas Matthae soll nun Kompromisse zwischen den Reformern und den Reformverweigerern suchen. Was gehört für Sie bei allem Verständnis für sozialdemokratische Werte in den Leitantrag einer reformwilligen SPD. Bei welchen Ideen und Begriffen muss der Vorstand bleiben?

Der Wandel vom Leistungsstaat zum Gewährleistungsstaat. Priorität Bildung. Konsolidierung der Finanzen. Und Rücknahme von komplexen Verwaltungsstrukturen, mehr Wettbewerb und mehr Verantwortung für die Bezirke.

Weniger Geld für Soziales?

Wir haben insgesamt weniger Geld, das wir ausgeben können. Wir müssen das Geld effizienter einsetzen. Wir haben im Leitantrag auch die Formulierung vom Fördern und Fordern. Damit ist gemeint: Wo der Staat Leistungen erbringt, soll das mit dem Angebot von Arbeit verbunden sein, wo immer das möglich ist.

Die Fragen stellte Werner van Bebber

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