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Berlin: Die stille Fraktion

Köche, Pförtner, Techniker: 150 Leute arbeiten im Parlament hinter den Kulissen Auch für sie ist heute ein besonderer Tag, sie alle haben Stress vor der Premiere

Der Pfarrer

Der Tag beginnt für die Politiker mit Matthias Loerbrok. Er ist Pfarrer in der St.-Lukas-Kirche in Kreuzberg. „Es sind nur drei Schritte rüber ins Abgeordnetenhaus“, sagt der 50-Jährige. Nicht nur der kurze Weg sei optimal für den Gottesdienst der Parlamentarier, seine Kirche passe auch symbolisch hervorragend zu Berlin: Früher stand sie im Schatten der Mauer, heute in der Mitte der Stadt. Zum speziellen Gottesdienst in Loerbroks Haus kommen heute auch Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky und Bischof Wolfgang Huber. „Wir werden Mut machende Worte hören“, sagt Loerbrok. Kirchlicher Beistand für das arme Berlin? „Nein, die Predigt war schon vor dem Karlsruhe-Urteil fertig.“ Gestern hat er in der Bernburger Straße noch mal nach dem Rechten geschaut, auch nach der Koalition der Blumen: „Mal sehen, wie sich das Grün mit Rot und Gelb verträgt.“

Der Direktor

Seit 1975 arbeitet Hartmann von der Aue im Parlament, jetzt trägt er den Titel „Direktor im Abgeordnetenhaus“. Er kümmert sich um die Vorbereitung, sorgt dafür, dass „Telefonbuch dicke Papierstapel“ auf den Plätzen liegen, dass alle 149 Abgeordnete einen Platz bekommen. Er ist der oberste Verwaltungschef des Parlaments und wichtig ist sein Rat auch im Alltag. Was zieht man zur ersten Sitzung an? Darf man Wurstbrote auspacken? Und was ist, wenn das Handy bimmelt? „Handy und Wurstbrot sind streng verboten“, sagt von der Aue. Getränke haben auch nur die Redner vor sich, nämlich ein Glas stilles Wasser – ohne Kohlensäure, damit niemand ins Mikrofon rülpst. Wer Hunger hat, muss in die Kantine flitzen. Und die Kleiderordnung? Früher, sagt der 64-Jährige, hätten die Männer alle Anzug und Krawatte getragen, „und die Knie der Frauen waren bedeckt“, die Frisuren waren immer akkurat. Dann kamen die Grünen, und alles lockerte sich. Sogar kurze Hosen werden im Hochsommer akzeptiert. Nur eine PDS-Dame, die in den Neunzigern barfuß ins Abgeordnetenhaus kam, wurde scharf aufgefordert, Schuhe anzuziehen.

Der Casino-Chef

Casino – das klingt nach Roulette, Hummerschwänzen und Piano. „Ach was“, sagen Parlamentarier, „luxuriös sind nur die Tischdecken.“ Tatsächlich ist das Casino neben dem großen Saal wenig glamourös. Seit sieben Jahren betreibt Hans-Jürgen Schreiber, 54, Kantine und Casino. „Die erste Sitzung ist was Besonderes, weil alle Politiker samt Anhang da sind“, sagt er. Außerdem seien viele neu, und bei denen wüssten die Kellner nicht, ob die den Kaffee schwarz, mit Zucker, Milch oder beidem trinken. „Das kostet wertvolle Sekunden.“ Die Kantine steht jedem offen. Der „absolute Renner“ ist die Landtagsstulle, sagt Schreiber und lässt Köchin Manuela Richter eine der wuchtigen Stullen mit rohem Schinken, Haussalami, Schnittkäse, Kassler, Eiersalat und Hackepeter zubereiten. Preis: 3,80 Euro. Und was ist das Festessen heute? Wildgulasch mit Preiselbeeren, Böhmischen Knödeln und Rotkohl für 5,80 Euro. Es gibt auch Bier, der halbe Liter Erdinger Weizen zu 2,50 Euro. Angeblich hat sich noch nie einer betrunken.

Der Technikleiter

Hausmeister? Da denkt man an Blaumann und Werkzeugkasten. Klaus Friedrich, 61, ist viel mehr Technikchef. Gestern hat er mit seinen Kollegen die Stühle und Tische der Fraktionen angeschraubt, außerdem 149 Schildchen mit den Namen der Abgeordneten. „Wenn ich am Donnerstag nichts zu tun habe, haben wir alles richtig gemacht“, sagt er. Für den Notfall steht ein Dieselaggregat bereit. Es springt an, wenn der Strom ausfällt. „Kam in den Neunzigerjahren vor.“ Wie lange das Strom liefert, bleibt ein Geheimnis – aus Sicherheitsgründen.

André Görke

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