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Berlin: „Die Straßen waren grau in grau“

Helios Mendiburu war zehn Jahre lang Bürgermeister in Friedrichshain – und manchmal waren es harte Jahre. Heute erkennt er seinen Bezirk kaum wieder, sagt er.

Als ich 1990 zum Bürgermeister gewählt wurde, war Friedrichshain noch ein richtiges Arbeiterviertel, geprägt von der Industrie: von der Glühlampenfabrik Narva, der KnorrBremse, den Vergaser- und Filterwerken in der Frankfurter Allee. Die Straßen waren grau in grau. Und es lebten eben vor allem Arbeiter hier – mit Ausnahmen allerdings: In der Büschingstraße zum Beispiel wohnten die Stasi-Größen.

Ich erinnere mich noch gut. Zu DDR-Zeiten – nach meinem Studium in Leipzig war ich 1973 nach Prenzlauer Berg gezogen – war ich oft in der Karl-Marx-Allee. Diesen Moskauer Baustil fand ich furchtbar, aber die Infrastruktur war damals viel besser als im Rest der Stadt. Am Strausberger Platz gab es ein riesiges Kinderkaufhaus und an der Ecke zur Pariser Kommune das Hortex – ein polnischer Laden, in dem man manchmal sogar Champignons bekam. Und im Café Budapest einen ungarischen Weinkeller, ganz urig. Dort haben meine Frau und ich unsere Hochzeit gefeiert.

Wenn man heute durch Friedrichshain geht, erkennt man es nicht wieder. Die Bänschstraße zum Beispiel. Dort gibt es wunderschöne Bauten aus der Gründerzeit und in der Mitte der Straße eine Promenade mit Bänken und Bäumen. Die Bänschstraße gehört zu einem der drei Sanierungsgebiete in Friedrichshain, wo mit öffentlichen Mitteln saniert wurde. Deshalb sind dort die Mieten nicht so angestiegen wie etwa im Boxhagener Viertel, das mit privaten Mitteln saniert worden ist, und wo glatt ein Bevölkerungsaustausch stattgefunden hat.

Trotzdem leben in Friedrichshain heute 15000 Einwohner weniger als 1990. Und von denen, die da geblieben sind, haben viele keine Arbeit mehr. 20000 Arbeitsplätze sind in der Industrie verloren gegangen. Die meisten Fabriken haben schon in den ersten fünf Jahren nach der Wende dicht gemacht. Das waren harte Jahre als Bürgermeister, die Stimmung war wirklich mies. Einige Straßen sind aber auch heute noch Arbeiterstraßen. Die Scharnweberstraße zum Beispiel, wo ich auch wohne. Dort gibt es auch noch richtige Arbeiterkneipen: Die älteste ist das „Krügers“ in der Müggelstraße, das seit vier Generationen in der Hand der gleichen Familie ist.

Von der Vergangenheit als „roter Bezirk“, also als Bezirk der Arbeiterbewegung, ist allerdings heute nichts mehr zu spüren. Nach 1953 gab es ja praktisch keine Arbeiterbewegung mehr, die meisten Menschen haben sich ruhig verhalten und brav die Fähnchen geschwungen. Auch die Aufbruchsstimmung nach der Wende ist schnell verschwunden, und heute sind die Menschen hier genauso apolitisch, wie überall sonst. Wenn ich als Bürgermeister Bürgerversammlungen zu einem aktuellen Thema einberufen habe, kamen da oft nur zehn Hanseln.

Für mich ist Friedrichshain in 13 Jahren ein Zuhause geworden. Die Menschen kennen mich wie einen bunten Hund. Und ich kenne den Bezirk: Ich weiß, dass ich die schönsten Blumen beim Vietnamesen an der Frankfurter Allee bekomme und dass ich in der Buchhandlung der Mischkes immer die richtigen Bücher finde. Ob ich allerdings den Rest meines Lebens hier verbringe… Vielleicht gehe ich ja doch noch nach Madrid zurück, wo ich geboren bin.

Aufgezeichnet von Anne Seith

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