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Berlin: Die Tour, die stolz macht

Die Alten nutzen ihn, die Arbeitslosen fahren ihn: Zwei Monate Bürgerbus in Gransee

Gransee – Wer in Baumgarten wohnt und kein Auto hat, muss Taxifahren oder in Baumgarten bleiben. Eine Straße, ein paar Häuser, kaum Anwohner, der Verkehrsverbund kommt hier nicht mehr her.

Ein alter Mann mit abgewetztem Jacket steht am Straßenrand und wartet. Rüdiger Ungewiss sieht ihn da stehen und drückt den Blinker runter. Er wird den Mann in seinem Mercedes-Sprinter mitnehmen. Er wird ihm einen Plastiktritt hinstellen, damit er durch die Seitentür in den Kleinbus klettern kann. Und dann wird er ihm einen Fahrschein verkaufen. Einen handgeschriebenen.

Der Mercedes gehört dem Bürgerbusverein von Gransee, einem Ort gut eine Autostunde nördlich von Berlin gelegen, ein öder Landstrich, keine 30 Personen leben hier pro Quadratkilometer. Hier hat Rüdiger Ungewiss vor zwei Monaten den Bürgerbusverein mitgegründet. Im Osten ist es der erste, im Westen gibt es solche Vereine schon. Bürger fahren ihre Busse selbst, mit Konzession des örtlichen Verkehrsverbunds, der die Einnahmen bekommt. Der Landkreis zahlt den Betrieb: Steuern, Reparaturen, Benzin. 12600 Euro im Jahr. Die Fahrer, meist Arbeitslose oder Rentner, fahren unentgeltlich.

Rüdiger Ungewiss ist 56 und arbeitslos. Er war mal Maschinenbauer. Nach der Wende wurde seine Firma abgewickelt. Seitdem hat er es als Handelsvertreter und Arbeitsvermittler versucht. Jetzt also Busfahrer. Aber diesmal ist er voll dabei. Macht Dienstpläne. Springt ein, wenn mal jemand nicht kann. Er fühlt sich verantwortlich. „Damit alles einen Sinn hat“, sagt er. Man kann sich vorstellen, wie oft er bei ständig wechselnden Jobs am Sinn seiner Arbeit gezweifelt hat. In Gransee fährt außer den Schulbussen nicht mehr viel. „Und was ist mit den Menschen, den älteren vor allem, die einkaufen müssen oder zum Arzt im nächsten Ort?“, fragt Ungewiss und antwortet gleich selbst: „Für die sind wir da.“

Vier Runden mit 26 Haltestellen. 32 Kilometer je Tour, Dauer eine Stunde. Das Ganze viermal am Tag, an etwa 22 Tagen im Monat. Zehn Fahrer teilen sich die Schichten. Der Bus fährt durch Dörfer, die aus wenig mehr als einer Hauptstraße bestehen. Alleen, Feldwege, Kreisstraßen. Es kann passieren, dass einem kaum ein Auto entgegenkommt, vielleicht mal ein Radfahrer.

Der alte Mann im abgewetzten Jackett ist ausgestiegen. An einem regulären Haltepunkt. Es geht im Bürgerbus auch anders: Ungewiss erzählt von einer alten Dame, die er und die anderen Fahrer immer bis vor die Haustür fahren, obwohl sie dafür die vorgeschriebene Route verlassen. Man hört den Stolz in seiner Stimme. Stolz darauf, dass man ihn und den Bürgerbus hier braucht. Ganz gleich, ob es nun acht Fahrgäste am Tag sind oder 20. Da ist er, der Sinn.

In zehn Minuten ist die Vormittagsschicht von Rüdiger Ungewiss beendet. Ein Bürgermeister hat auf dem Handy angerufen, er interessiert sich für das Bürgerbuskonzept. Fachleute von der Technischen Universität Berlin haben es im vergangenen Jahr auch in anderen ostdeutschen Gemeinden vorgestellt. Überall hat man erklärt, warum es nicht klappen wird. Die Granseer haben sich gesagt: Bei uns klappt’s. Ein paar Probleme haben sie trotzdem: Die erste Nachmittagstour wollen sie streichen, die sei fast immer leer. Dafür wollen sie um 7 Uhr 40 fahren, im Berufsverkehr, und Fahrten für Vereine übernehmen, der Einnahmen wegen. Aber die Verkehrsgesellschaft muss das erst erlauben.

Mit zusätzlichen Fahrten kämen mehr „Stammgäste“, glauben die Fahrer. Zehn sind es bisher, sie kennen sie mit Namen. Stammgäste, sagen sie, bedeutet: gute Arbeit. Ein Stammgast ist aus Schulzendorf, eine Mitarbeiterin aus dem Bundesaußenministerium. Alle Fahrer kennen sie. Jeden Abend steigt sie am Granseer Bahnhof ein, zwanzig vor sechs. Hat der Zug aus Berlin Verspätung, wartet der Bus.

Marc Neller

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