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Berlin: Die Tränen der Pastoren

Bevor Mel Gibsons „Passion Christi“ in die Kinos kommt, konnten sich Kirchenleute den Film schon mal ansehen

Kein Einziger hatte sich ein Bier gekauft oder einen Eimer Popcorn. In Saal 6 im Kino Colosseum in der Schönhauser Allee hörte man am Donnerstagabend kein Rascheln, kein Knacken und auch kein Ploppen. Einige der Kinogänger hatten Ohropax mitgebracht. Um sich zu schützen. Denn nicht irgendein Film wurde da gezeigt, sondern Mel Gibsons „The Passion of Christ“ – in der Sondervorführung für Kirchenmitarbeiter ging es ans Eingemachte. Die letzten zwölf Stunden im Leben Jesu, die Hollywood-Größe Mel Gibson zum Thema macht, sind die Essenz des Christentums, das, woraus der Alltag und die Arbeit, aber auch die Hoffnungen und die Träume eines Kirchenmanns bestehen.

Viele der 50 Pfarrer und Akademiemitarbeiter, der Bischof und der Stellvertreter des Papstes hatten schon viel über Gibsons Werk gelesen und fürchteten, mit Grausamkeit überflutet zu werden. Anschauen wollten sie sich den Streifen aber doch und folgten der Einladung des Verleihs Constantin Film. Denn was den Gemeinden empfehlen, den Gläubigen und Konfirmanden, wenn der Film am 18. März in die Kinos kommt?

Schweigend, bleich und ratlos kamen die meisten aus der Tür des Kinosaals. Um acht Uhr war es vollbracht. Jesus Christus, der grausam gefolterte Schmerzensmann hatte seinen Geist in die Hände des Herrn befohlen. Lust auf ein Glas Wein hatte danach niemand so recht. Die Verleihfirma hatte einen Teil des Ganges im Obergeschoss mit einer Kordel abgetrennt. Dort wurde nach dem Film noch kurz diskutiert. Grauhaarige, gestandene Pfarrer, die schon viel Leid gesehen haben, wischten sich schnell Tränen aus Augenwinkeln. Der Wilmersdorfer Superintendent Roland Herpich gestand, dass er einen Großteil der vergangen 124 Minuten hinter seinem blauen Wollschal verbracht hat. Zwei Nonnen enteilten ohne ein Wort.

Auch Wolfgang Huber und seine Frau Kara liefen gleich nach unten, raus, ins Freie. Genug gesehen, sie wollten nicht mehr sprechen. „Es ist ein gewaltiger und gewalttätiger Film“, sagte der Berliner Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland einen Tag später. Er habe die Bilder aus dem Film mit denen von den Bombenanschlägen aus Madrid zusammengebracht, das sei kaum auszuhalten gewesen. Es gebe zwar sehr eindringliche Szenen, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen werden, sagt Huber, etwa Maria mit dem toten Sohn im Schoß. Dennoch rät er von dem Film ab. Er sei größenwahnsinnig, weil er versuche, die Gewalt, die Jesus angetan wurde, durch noch mehr Gewalt zu überbieten.

Der Stellvertreter des Papstes in Berlin, Nuntius Erwin Ender, schlenderte nach dem Film relativ entspannt die Treppe hinunter. Er lächelte freundlich, nestelte kurz am Römerkragen und sagte, dass ihn der Film beeindruckt habe. Überhaupt scheinen Katholiken dem Film mehr abzugewinnen als die protestantischen Würdenträger.

Karl Jüsten, der die Katholische Kirche bei der Bundesregierung vertritt, hat keine Bedenken, wenn sich theologisch Vorgebildete die „Passion Christi“ ansehen. Für die anderen, die Anfänger in christlichen Dingen, sei der Streifen aber nichts. Zu sehr würde nur Jesu Leiden betont. Die Liebesbotschaft der Evangelien komme zu kurz.

Christhard-Georg Neubert, der Direktor der evangelischen Stiftung St. Matthäus am Kulturforum, wäre fast früher rausgegangen. Zu sehr fühlte er sich in die Rolle des Voyeurs gedrängt. Man kenne zwar Bilder des leidenden Christus aus der Kunstgeschichte. Aber die mittelalterlichen Maler hätten die Frage gestellt, wozu gelitten wird. Gibson frage nichts.

Das Bildungswerk der evangelischen Kirche hat eine Handreichung zur „Passion Christi“ mit den wichtigsten Stellungnahmen und Filmkritiken erarbeitet. Wichtigster Rat für die Pfarrer: Auf jeden Fall den Film zuerst alleine anschauen, bevor man ihn Konfirmanden zumutet. „Verklärt ist alles Leid der Welt“, das singen wir alle schön brav in der Osterzeit“, sagt Karl Jüsten. Aber die Geißelung Jesus sei nun einmal nichts Schöne, Braves. Dieses Jahr werden wohl viele die Passionsmusik der Osterzeit mit anderen Ohren hören.

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