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Klotzbrocken. Das Meininger-Hotel auf der Südseite des Bahnhofs rief viel Kritik hervor. Immerhin wird der bisher kahle Washingtonplatz zurzeit aufgehübscht.

© Thilo Rückeis

Berlin: Die Transit-Wüste soll leben

Es ist ein Juwel der Stadtentwicklung – doch Billigarchitektur und leblose Bürobauten könnten das Hauptbahnhof-Areal verschandeln

Man kann sich die Wut vorstellen, die den Bahnhofsarchitekten Meinhard von Gerkan gepackt hat. „Ordinärer kann man einen öffentlichen Raum nicht verramschen“, schimpfte der 76-Jährige. „Wir müssen da eingreifen“, mahnte auch Thomas Flierl, der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus. Eine „öffentliche Debatte“ forderte der Stadtplaner Harald Bodenschatz von der Technischen Universität. Gerkans Kollege Hans Kollhoff sekundierte: Die Bürger müssten „sich selbst um ihre Stadt kümmern“. Die Frage ist nur: welche Bürger? Am Hauptbahnhof wohnt niemand; um die Transit-Oase ist nur Wüste.

Auch Ephraim Gothe lässt den Blick schweifen und findet keinen Halt. Auf sein Fahrrad gestützt steht der Baustadtrat des Bezirks Mitte auf einer dieser großzügigen Treppen am Hauptbahnhof, die teils ins Leere führen und teils ins Chaos. Gothe blickt nach Norden zur künftigen Europacity, über der sich Kräne drehen und Krähen krähen. Rechts am Humboldthafen steht zwischen Werbeplanen das Palazzo-Zelt wie ein Feldlazarett. „Das sieht furchtbar aus“, sagt Gothe, „und da fahren täglich 400 000 Leute dran vorbei“. Links verbirgt sich das Motel One hinter einem Riesenposter. Bereits die Umrisse lassen ahnen, dass der Neubau mit den 60er-Jahre-Kästen in der Nachbarschaft an der Lehrter Straße harmonieren wird.

Gothe war einer von vielen Warnern: Die Leere könnte das kleinere Übel sein im Vergleich zu dem, was nach ihr kommt. Es wäre nicht das erste architektonische Kind, das zunächst unbemerkt in den Brunnen fällt und allgemeines Erschrecken erst auslöst, wenn es nicht mehr zur retten ist. Als deutlichstes Indiz der Gefahr gilt das Hotel, das auf der südlichen Seite dem distinguierten Bahnhof auf die Pelle gerückt ist wie ein untersetzter Fremder, der keine Distanz zu wahren weiß.

Weil es keine Anwohner gibt, versuchen sich Verwaltungsleute jetzt selbst in der Bürgerrolle. Anfang Dezember traf sich auf Einladung der Bundesstiftung Baukultur eine illustre Runde aus Fach- und Verwaltungsleuten sowie Investoren. Nach einer erschütternden Powerpoint- Präsentation des Status Quo durch Gerkan einigten sich die Teilnehmer auf ein Memorandum, um die architektonische Qualität künftiger Neubauten und die Belebung der Wüste zu sichern. Eine wesentliche Forderung sieht Gothe schon erfüllt: So habe der niederländische Investor OVG für sein Projekt zwischen Spree und Humboldthafen „gerade ein Wettbewerbsverfahren initiiert und eine Reihe guter Büros eingeladen“. Das Resultat soll dann – wie alle künftigen Vorhaben – von einem Preisgericht aus Verwaltungsleuten und Architekten begutachtet werden.

Die Immobiliengesellschaft Vivico als größter Eigentümer ist ebenfalls dazu bereit. Beim landeseigenen Liegenschaftsfonds, der bei verbesserter Marktlage die übrigen Flächen um den Humboldthafen vermarkten will, müssen Gothe und Senatsbaudirektorin Regula Lüscher zwar dem an Gewinnmaximierung interessierten Finanzsenator Paroli bieten, aber das traut sich der Stadtrat zu. Auch die Vivico werde sich hüten, für schnelles Geld die Stadt zu verschandeln, die sie entlang der Heidestraße noch mitgestalten wolle. Vivico-Sprecher Wilhelm Brandt bestätigt, dass hohe Qualität auch den langfristigen Werterhalt des Portfolios sichere.

Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, glaubt an den Effekt des öffentlichen Drucks. Deshalb sehe er das Thema als Chefsache: „Da braucht die Senatsbaudirektorin die Unterstützung des Regierenden.“

Während die Gefahr für weitere Solitäre mit Kreissparkassencharme etwas verringert scheint, treibt Gothe und Braum die Sorge vor einer leblosen Bürolandschaft am Spreebogen um. Im Westen entsteht mit dem Bundesinnenministerium bereits ein unvermeidlich schwer gesichertes Gebäude. „Autistisch“ nennt es Gothe. Es gehe nicht anders, aber zwischen den Autisten müsse genug Platz für Normalos bleiben – und nicht nur für Absperrgitter und Polizeiautos. Fürs Minimum halten Braum und er, dass die Erdgeschosse öffentlich genutzt werden, etwa als Cafés und Restaurants. Gothe sorgt sich am meisten um die bundeseigenen Flächen im östlichen Spreebogen: „Es gibt beim Bund niemanden mehr, der sich für die Hauptstadtplanung interessiert.“ Folglich fehle ein Ansprechpartner fürs große Ganze. Braum klingt optimistischer. Seine Stiftung schreibe gerade für den Bundestag einen Bericht zur Baukultur. „Wir haben im Bund Ansprechpartner, bei denen das auch auftrifft.“

Für den nächsten Neubau am Washingtonplatz konnten die Ersatzbürger von der Verwaltung dem Investor bereits eine zusätzliche Bar abtrotzen, die das Parterre beleben soll. Für Wohnungen ist es direkt neben dem Bahnhof mit seinem nachträglich verkürzten Dach zu laut. Ein erster Versuch, einen Investor zu einem Wohnungsanteil zu verpflichten, scheiterte vor Gericht. Der asphaltierte Platz wird in den nächsten Monaten mit grünen Einsprengseln aufgehübscht. Das chronische Verkehrschaos auf dem nördlich gelegenen Europaplatz dürfte sich zwar durch die Baustelle der S-Bahnlinie S 21 weiter verschärfen, aber für eine langfristige Lösung hat die Verwaltung laut Stadtrat Gothe ein Konzept in Auftrag gegeben. Dass der SPD-Mann früher selbst in der Stadtentwicklungsverwaltung gearbeitet hat, verringert die Reibungsverluste zwischen Bezirk und Senat. Das stärkt die Verhandlungsposition. „Wunderbar“ fände es Gothe, wenn sich außerdem eine Bürgerinitiative engagieren würde. „Aber wer könnte das sein?“, fragt der Stadtrat und weiß keine Antwort. Also muss er die Bürgerrolle weiter selbst ausfüllen. Stefan Jacobs

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