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Berlin: Die Tücke mit der Liste

Ministerin Christine Bergmann könnte trotz Platz zwei auf der SPD-Landesliste leer ausgehen – es sei denn, sie gewinnt ihren Wahlkreis

Von Brigitte Grunert

Falls am Sonntag eintritt, was Peter Strieder voraussagt, kann die SPD lachen, nur Bundesfamilienministerin Christine Bergmann vermutlich nicht. Der SPD-Landeschef sieht gute Chancen, dass seine Partei zehn der zwölf Berliner Bundestagswahlkreise holt. „Dann zieht die Landesliste nicht“, gibt er zu. Und dann könnte die Wackelkandidatin Bergmann den Sprung in den Bundestag glatt verfehlen. Sie ist Direktkandidatin in Hellersdorf-Marzahn, der stärksten PDS-Bastion, und sie steht auf der SPD-Landesliste auf Platz zwei hinter Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Der Wahlsonntag kann sie ihre politische Existenz kosten, denn das Ministeramt ist ja auch nicht sicher.

Warum hat sich die 63-jährige, die zum ersten Mal für den Bundestag kandidiert, den „für die SPD härtesten Wahlkreis“ ausgesucht? „Wenn schon, dann auf der Kampfszene“, sagt sie. Und sie kennt sich in Hellersdorf-Marzahn aus. Dort ist sie sehr bekannt, dort war sie im Ortsteil Kaulsdorf 28 Jahre zu Hause. Bei den Abgeordnetenhaus-Wahlen 1990 und 1995 hatte sie den Wahlkreis Hellersdorf gewonnen. Sie kämpft mit der ihr eigenen liebenswürdigen Beharrlichkeit: „Die PDS betrachtet Hellersdorf-Marzahn als ihren Erbhof, aber das ist er nicht.“ Vor allem aber: Christine Bergmann wäre es eine „innere Genugtuung“, die PDS zu überholen.

Es ist ein Zweikampf um das Direktmandat für den Bundestag zwischen zwei populären Frauen. Petra Pau will es „auf jeden Fall“ gewinnen. Sie will das Erbe von Gregor Gysi antreten. Der Der überaus populäre Gysi ging 1998 mit 46,7 Prozent der Erststimmen durchs Ziel; er ließ die SPD-Kandidatin Kerstin Raschke (26,6 Prozent), die keinen n hatte, weit hintersich. Bei den Zweitstimmen allerdings lag die SPD zur Bundestagswahl 1998 mit 34,4 Prozent vor der PDS (32,6 Prozent). Die Situation sei auch bei den Erststimmen nicht mehr dieselbe wie vor vier Jahren“, sagt Frau Bergmann. Es ist zwar verdammt schwer, den Vorsprung der PDS aufzuholen, aber der sei zusammengeschmolzen: „Für mich ist die Sache keinswegs aussichtslos.“

Die Frau, die erst zur Wendezeit die politische Bühne betrat und seit 1998 dem Bundekabinett als einzige aus dem Osten angehört, will nicht aufs Altenteil. „Ich habe noch viel zu tun“, sagt sie. Der Kanzler habe ihr „ordentliche Arbeit“ als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bescheinigt. Zwölf Jahre steht sie jetzt in der Politik, zwölf Jahre seit der Wendezeit für die Einheit, die sie nicht missen will.

Die aus Dresden gebürtige Apothekerin hatte mit 50, als die Kinder groß waren, gerade ihren Doktor gemacht, als die Mauer fiel. Sie hatte sich in den letzten Jahren der DDR in kirchlichen Oppositionsgruppen engagiert und trat im Dezember 1989 der neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei bei. Im Frühjahr 1990 fand sie sich als Präsidentin der ersten frei gewählten und zugleich letzten Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung wieder. Sie half die Einheit der Stadt vorbereiten. Ihre erste Rede hielt sie zur Verleihung der Ehrenbürger-Würde an Richard von Weizsäcker in der Nicolai-Kirche; sie wird „das nie vergessen“. Sie zog 1990 in das erste Gesamtberliner Parlament seit 1946 ein und wurde im Senat der Großen Koalition unter Eberhard Diepgen (CDU) Arbeitssenatorin und Bürgermeisterin. 1998 wechselte sie nach dem SPD-Wahlsieg nach acht Jahren im Senat und Abgeordnetenhaus in das rot-grüne Kabinett von Gerhard Schröder. Seither ist die Familienpolitik ihre Domäne, die Vereinbarkiet von Beruf und Familie für Frauen.

Christine Bergmann war nie eine Selbstdarstellerin. Sie stellt sich nicht mit starken Worten und spektakulären Aktionen in den Vordergrund, aber sie wirkt beharrlich, zielbewusst, couragiert. Eine Episode mag das illustrieren. Beim Mittagessen, das der Regierende Bürgermeister Diepgen 1994 zu Ehren des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng gab, traktierte sie den Gast warmherzig, aber hartnäckig bei Tisch so lange mit den „Menschenrechtsverletzungen in China“, bis er das Gespräch abbrach.

Irgendwie muss sie Herz und Verstand auf dem richtigen Fleck haben. Vielleicht hat sie deshalb keine Feinde. Seit 1990 ist sie wie selbstverständlich stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner SPD, seit 1994 hat sie auch ihren Platz im Bundespräsidium der Partei, ebenfalls wie selbstverständlich.

Nur sind Ämter und Mandate eben keine Erbhöfe. Am Sonntagabend wird sie wissen, ob sie weitermachen darf oder in Zwangspension gehen muss. Je mehr Direktmandate die SPD in Berlin holt, umso weniger Listenkandidaten kommen zum Zuge. Frau Bergmann hat nicht vergessen, dass 1998 beinahe Wolfgang Thierse ein Opfer dieser Logik des Wahlsystems geworden wäre. Die SPD gewann neun der damals 13 Berliner Wahlkreise. Thierse verfehlte das Direktmandat und schaffte es sogar auf Listenplatz eins nur knapp in den Bundestag.

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