zum Hauptinhalt
Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD).

© Rainer Jensen/dpa

Die unbeirrbare Bildungssenatorin: Sandra Scheeres macht den "undankbarsten Job von Berlin"

Niemand sonst wollte Schulsenatorin werden, also wurde sie es. Trotz heftiger Kritik macht die SPD-Politikerin Sandra Scheeres immer weiter.

Der Mann, der Sandra Scheeres auf dem Gang abfängt, ist aufgeregt. Die Bildungssenatorin hat gerade eine Jugendberufsagentur in Pankow eingeweiht und ist eigentlich schon so gut wie aus der Tür, als er sie anspricht. „Ich möchte Ihnen gern etwas zeigen, das ich mit meinen Schülern zusammen entwickelt habe“, sagt er, während er auf einem iPad rumtippt. Aber weil es nicht mit dem Internet verbunden ist, klappt gar nichts. Einige drum herum verdrehen schon die Augen, aber Scheeres bleibt gelassen. Sie starrt erwartungsvoll auf den Bildschirm, auf dem nichts passiert: „Worum geht es denn bei Ihrer Idee?“ Er braucht mehrere Anläufe, klar wird der Gedanke aber nicht. Scheeres gibt nicht auf, fragt nach, schaut abwechselnd auf den sinnlosen Bildschirm und dem Mann in die Augen.

Für sie gehört das zum Job dazu: „Ich versuche mit möglichst vielen Beteiligten zu reden. Nur so kann ich mir eine ausgewogene, fundierte Meinung bilden. Und dann alles zusammenzubringen, ist gerade das Spannende.“

Für Scheeres ist das nicht nur Arbeit, es ist auch Entspannung in einem Job, den einige den „undankbarsten von Berlin“ nennen. Sie verwaltet das größte Ressort im Senat und ist für drei riesige Themen zuständig, die alle emotional diskutiert werden – Jugend, Bildung, Wissenschaft. Gemessen an der Finanzstärke ist sie die mächtigste Frau im Senat. Für 1.500 Mitarbeiter trägt Scheeres die Verantwortung und verwaltet einen Etat von mehr als 5 Milliarden Euro. So viel haben Innensenator Frank Henkel und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel nicht einmal gemeinsam zur Verfügung. Die 46-Jährige muss junge Eltern, unterbezahlte Lehrer und selbstbewusste Professoren zufriedenstellen, für jede ausgefallene Mathestunde und jedes verstopfte Schulklo wird sie verantwortlich gemacht. Und als wäre das nicht genug, fällt ihr als Wissenschaftssenatorin auch noch die Verantwortung für die Charité zu, Europas größte Universitätsklinik.

Der "undankbarste Job von Berlin"

Scheeres macht das, was man gemeinhin einen Knochenjob nennen würde. Und dafür ist sie in den letzten fünf Jahren viel kritisiert worden, hat viel Häme erfahren. Trotzdem will sie nach den Wahlen weitermachen. Warum?

„Man weiß ja, worauf man sich einlässt, wenn man dieses Amt antritt. Aber für die Kritiker mache ich das nicht. Ich will etwas tun, das den Menschen zugutekommt.“ Von denen nehme sie die Kraft, mit der Kritik umzugehen. Wie von dem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, den sie einmal in einer Schule getroffen habe. „Der hatte seine Familie im Krieg verloren. Und hier stand er nun an einer Werkbank und sagte zu mir: ,Das hier ist meine Chance.‘"

Scheeres ist zu ihrer Chance, die Berliner Bildungslandschaft zu verändern, ziemlich unverhofft gekommen. Als Klaus Wowereit , damals noch Regierender Bürgermeister, 2011 eine Senatorin suchte, sagten viele Kandidatinnen ab. Weder Ruhm noch Reichtum lockten ins Amt, stattdessen waren bloß Kritik und Nachtschichten zu erwarten. „Ich kenne mindestens drei Kandidatinnen, die dankend abgesagt haben“, berichtet ihr Parteifreund Lars Oberg. Wenn das stimmt, wäre Scheeres nur vierte oder fünfte Wahl gewesen. Aber Wowereit gingen die Optionen aus, und so fiel die Wahl auf Scheeres.

Die gebürtige Düsseldorferin hat Pädagogik studiert und in Nordrhein-Westfalen mit der Politik begonnen, bevor sie nach Berlin kam: „Ich war in NRW so etwas wie eine Nachwuchshoffnung. Aber ich wollte nicht nur in der Partei Karriere machen, sondern in meinem Beruf.“ Im Rheinland wurde sie nicht fündig, aber in Pankow. „Nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass mir etwas fehlt. Ich wollte wieder mitgestalten. Also bin ich zur lokalen Gliederung meiner Partei gegangen und habe mich da engagiert.“ Sie wird ins Abgeordnetenhaus gewählt, arbeitet sich hoch zur jugendpolitischen Sprecherin ihrer Fraktion, bevor sie in den Senat berufen wird. Das hat die meisten Beobachter überrascht, immerhin hatte Scheeres keinerlei Erfahrung darin, eine so große Behörde zu leiten. Manche Journalisten hätten gewettet, dass sie keine Legislaturperiode durchhalten werde.

Enge Freunde hat sie in der Fraktion nicht

Seitdem steht sie unter Dauerbeschuss, und nicht immer hat sie etwas entgegenzusetzen. Scheeres ist wenig charismatisch, sie hält keine mitreißenden Reden. Beim letzten Landesparteitag darf sie fast eine Viertelstunde lang über ihre Agenda reden. Aber sie betont an den falschen Stellen, macht Pausen, wo sie nicht hingehören, und verhaspelt sich. „Wir haben in den letzten Jahren viele Stellen – Pause – geschaffen.“ Dann redet sie atemlos weiter. So gleichförmig wie ein Navigationsgerät. Das macht eine Senatorin weder gut noch schlecht, aber so hat sie es schwer, Anhänger zu begeistern. Selbst ihre Genossen auf dem Parteitag können sich kaum zum Beifall motivieren. Enge Freunde habe sie in der Fraktion sowieso nicht, die Zusammenarbeit sei sachlich, nüchtern und distanziert, erzählt ein Abgeordneter. Die Politik selbst ist ihr ferner als die, für die sie Politik macht.

„Da mussten sich die Leute in den Schulen und Kitas erst dran gewöhnen, dass das nicht nur ein Schaulaufen ist. Ich muss doch vor Ort sehen, was gut oder schlecht läuft, um dann nachbessern zu können. Es bringt mir nichts, wenn alle bloß heile Welt spielen“, sagt Scheeres.

"Sie hat sich mehrfach reinregieren lassen"

Als sie in der Jugendberufsagentur eintrifft, warten schon mehr als hundert Eltern, Schüler und vor allem Mitarbeiter auf sie. Aber Scheeres eilt nur protokollpflichtig händeschüttelnd vorbei an den Funktionären und jenen, die erwarten, dass man sie zuerst begrüßt, um sich dann in die erste Reihe zu schieben, wo gerade eine Schulklasse ein Lied trommelt. „Ich will doch was hören“, raunt sie ihrer Nachbarin zu. Zwei Mädchen mit Luftballons in den Händen tuscheln aufgeregt. Scheeres ist eben doch nicht nur eine Pädagogin, sondern Bildungssenatorin von Berlin. Den Jugendlichen und Eltern nötigt das sichtlich Respekt ab. An den Hochschulen dagegen musste sie von Beginn an um Anerkennung kämpfen, nirgends schlug ihr mehr Geringschätzung entgegen.

Dort würden „manche entsetzt ihre Bleistifte runterkauen, seit sie wissen, wer ihr Feld bestellen wird“, schrieb die Süddeutsche Zeitung 2011. Zwar hat sie eine Art Burgfrieden geschaffen, indem sie beim damaligen Finanzsenator Ulrich Nußbaum mehr Geld für die Universitäten durchsetzte, aber die Alpha-Tiere, die sich in ihrer Rolle als intellektuelle Schwergewichte gefallen, können mit der rhetorisch schnörkellosen Pädagogin noch immer nicht viel anfangen.

Die Bilanz ist ernüchternd

Dabei geht es den Hochschulen in Berlin noch vergleichsweise gut, mehr Grund zu klagen haben die Schulen. Auf fünf Milliarden Euro beläuft sich mittlerweile der Sanierungsstau in den maroden Gebäuden. Die fehlenden Lehrerstellen konnte Scheeres gerade ansatzweise auffüllen. Viel zu wenig, bemängeln Kritiker: „Sie hat es in all den Jahren nicht geschafft, den Tarifkonflikt zu lösen, weil sie sich nicht gegen den Finanzsenator durchsetzen konnte.“ Immer noch verlässt fast jeder zehnte Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Und das, obwohl das Niveau der Prüfungen nach Ansicht von Kritikern bei Weitem zu niedrig ist. Die Senatorin vermochte es nicht, diese Probleme in fünf Jahren Amtszeit zu beheben, trotz ihres üppigen Budgets.

Die Bilanz ist ernüchternd. Jene, die regelmäßig mit ihr zu tun haben, werfen ihr deshalb vor, das eigene Ressort nicht im Griff zu haben. Ausgerechnet SPD-Fraktionschef Raed Saleh hat das zwei Mal öffentlich demonstriert. Er hat das Bonusprogramm für Brennpunktschulen auf den Weg gebracht und die Abschaffung der Kita-Gebühren vorangetrieben. Beides wurde als Erfolg gewertet, mit beidem hatte Scheeres nichts zu tun. „Sie hat sich mehrfach reinregieren lassen und ist nicht durchsetzungsfähig“, sagt einer, der regelmäßig mit ihr zu tun hat. Andere sagen, die Senatorin sei nicht sachkundig. „Als Fachfrau ist sie überhaupt nicht in Erscheinung getreten“, sagt einer aus dem Schulbereich. „Ohne Staatssekretär Mark Rackles wäre sie sehr hilflos“, sagt Gesamtpersonalrat Dieter Haase.

Scheeres weist das zurück: „Nennen Sie mir mal einen Minister, der sich von Anfang an in allen Bereichen gleich gut auskannte. Herr Henkel ist Sportsenator! Ich habe gelernt, damit umzugehen, was teilweise über mich zu lesen ist und in keiner Weise der Realität entspricht. Davon lasse ich mich nicht beeindrucken.“ In ihrer Stimme ist der Trotz zu hören, den sie äußerlich nicht zeigt. Sie belässt es bei einem Kopfnicken, als wolle sie sich selbst zustimmen. Denn Scheeres steht schon wieder unter Beobachtung.

Ins Büro schafft sie es oft erst in den Abendstunden

Sie sitzt im Café Einstein Unter den Linden, hier gehen Journalisten und Politiker ein und aus. Die Senatorin kennt viele von ihnen, unter sich ist man hier nie. Scheeres ist mal wieder auf dem Sprung zwischen zwei Terminen, das Lokal liegt auf dem Weg. Wie viele Verpflichtungen sie an diesem Tag hat, weiß sie nicht einmal auswendig: „Acht oder neun, glaube ich. An manchen Tagen geht das einfach tacktacktacktack hintereinander.“ Dabei schneidet sie mit der Handkante die Luft. Das ist der Alltag, wenn man es irgendwie allen rechtmachen muss. Ins Büro schafft sie es oft erst in den Abendstunden.

Möglich ist das nur, weil Scheeres eine Mannschaft um sich versammelt hat, die sie unterstützt. Privat übernimmt das ihr Ehemann. Er ist Beamter im Bundesarbeitsministerium, arbeitet von zu Hause aus und ist daher flexibel genug, um tagsüber der Ansprechpartner für die beiden Söhne zu sein. Bei beiden war er es auch, der in Elternzeit ging. „Mein Mann lebt mein Leben mit“, sagt die 46-Jährige. Wann immer möglich, begleitet sie ihren älteren Sohn am Wochenende zu Fußballspielen: „Dabei schalte ich ab, ich habe früher ja selbst mal Fußball gespielt.“ Manchmal Abwehr, meist Angriff, hat sie einmal gesagt.

Beruflich setzt Scheeres dagegen vor allem auf Verteidigung, sie hat sich eine ganze Festung aus Mitarbeitern zugelegt. Den inneren Schutzring bilden ihre Sprecher. Die weichen ihr nicht von der Seite, flankieren sie im Interview, mischen sich sogar bei strittigen Fragen ein und blocken ab. Das ist zwar an sich nicht ungewöhnlich, aber nicht viele Spitzenpolitiker verstecken sich so weit hinter ihren Presseleuten.

Noch wichtiger aber ist ihr äußerer Schutzring. Der besteht aus ihren drei Staatssekretären. Kritiker mögen anmerken, dass die Senatorin von ihnen abhängig sei, andere dagegen loben ihren Mut, „solche starken Persönlichkeiten zuzulassen“ und sich nicht bedroht zu fühlen. Scheeres hatte früh erkannt, wie wichtig ein kompetentes Team für sie sein wird, schon vor Amtsantritt sagte sie: „Dass das kein Spaziergang wird, ist klar. Aber ich bin ja nicht allein.“ Heute sagt sie: „Ich verschaffe mir einen Überblick, treffe Entscheidungen und stoße Dinge an. Aber ich habe eben auch Leute, die meine Linie mit umsetzen.“

Sie erfüllt gleich mehrere Quoten

Allem Anschein nach sind ihre wirkmächtigen Mitarbeiter also ein Grund dafür, warum die Senatorin so blass aussieht, doch könnten gerade sie dafür sorgen, dass Scheeres im September eine zweite Chance bekommt. Dafür gibt es ja auch noch andere gute Gründe.

Routiniert erzählt Scheeres davon, ohne dass man sie danach fragen muss. Beim Thema Inklusion hat sie Ruhe reingebracht, indem sie alle Beteiligten an einen Tisch geholt, sie angehört und ihre Sorgen und Wünsche ernst genommen hat. Hoch angerechnet wird ihr auch, dass sie es im Kita-Bereich vollbracht hat, ausreichend Plätze zu schaffen, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.

Und dann wäre da ja noch das, was Scheeres nicht ausspricht: Sie erfüllt gleich mehrere Quoten. Sie ist eine Frau, gehört zur Parteilinken und kommt aus Pankow, der Ost-West-Proporz spielt in der SPD eine gewichtige Rolle.

Es sieht aber so aus, dass Scheeres Macht verlieren wird. Schon zu Beginn der Legislaturperiode gab es massiven Widerstand gegen die Entscheidung, Wissenschaft und Forschung zu trennen. Sogar die Senatorin selbst hält es für sinnvoll, beide Bereiche wieder zusammenzulegen. Dass sie die Forschung noch zusätzlich übernehmen wird, gilt als ausgeschlossen. Denkbar ist also, dass sie den Wissenschaftsbereich wird abgeben müssen. Halb so wild, genug zu tun hätte sie auch mit den Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen, und das sind ihre Lieblings-Themen. Die Kritik an ihr würde nicht leiser werden. Aber das würde sie aushalten müssen.

Zur Startseite