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Berlin: Die unbequeme Religionsfreiheit Berlins Ex-Ausländerbeauftragte Barbara John zum Kopftuch-Urteil

des Bundesverfassungsgerichts

Wir haben ein Urteil, aber keine Entscheidung darüber, ob nun Lehrerinnen in der Schule Kopftücher tragen dürfen. Das mag viele ärgern, weil sie ein klares Ja oder Nein bevorzugt hätten. Mich dagegen beruhigt diese Mehrheitsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus mehreren Gründen:

1. Das höchste deutsche Gericht verteidigt das eindeutig formulierte Grundrecht auf Glaubensfreiheit.

2. Das Gericht kennt seine Grenzen. Gesellschaftspolitik zu machen, ist nicht seine Aufgabe. Es hat darüber zu wachen, dass staatliches Handeln verfassungsgemäß ist.

3. Das Gericht verlangt Gesetze und nicht Willkür und Unterstellungen, wenn Grundrechte beschränkt werden sollen.

Mit der Empfehlung an die Länderparlamente, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, wie viel Religion in der Schule durch Lehrer sichtbar sein darf, hat es die Zivilgesellschaft gestärkt. Die Gesellschaft – repräsentiert durch ihre Volksvertreter – müssen nun konkret werden und sich festlegen, also Farbe bekennen.

Das wird aufregend, weil ein verfassungskonformes Gesetz nach diesem Urteil anspruchvollen Maßstäben genügen muss.

Mit einer dürftigen Einfügung ins LehrerDienstrecht – wie es die Republikaner 1998 versucht haben, ist es nicht getan. Sie verlangten damals folgende gesetzliche Reglung für Baden-Württemberg: „…dass das Tragen des Kopftuchs als Symbol des Islam im Unterricht eine unzulässige, einseitige, weltanschaulich und politische Stellungnahme darstellt.“

Es bedurfte nicht des Urteils zum „Kopftuchstreit“, um zu erkennen, dass alles an dieser Formulierung durch ein klares Feindbilddenken gegenüber dem Islam geprägt ist, der pauschal als unzulässig, einseitig und politisch dargestellt wird.

Mit solchen platten Konzepten lässt sich die bestehende grundsätzliche Spannung zwischen der Glaubensfreiheit von Lehrern und der staatlichen Pflicht zur religiösen Neutralität samt des Anspruchs der Schüler, vor religiösen Einflüssen geschützt zu werden, nicht ausgleichen.

Genau genommen hat auch nicht das Bundesverfassungsgericht die Latte hochgelegt für eine zeitgemäße und die Glaubensfreiheit respektierende Praxis; es ist das Grundgesetz selbst, von uns allen geschätzt, das sich in diesem Konflikt mit seinen Grundwerten zu Wort meldet. Daran haben uns die Verfassungsrichter mit diesem Urteil erinnert. Wie in anderen europäischen Ländern gibt es auch in Deutschland immer mehr Bevölkerungsgruppen, die sich kulturell und religiös voneinander unterscheiden. Das hängt mit der Einwanderung zusammen, aber auch mit unserer Verfassung, die jedem Bürger Bekenntnisfreiheit in religiösen und weltanschaulichen Fragen garantiert. Freuen wir uns, dass die Bürger es wagen können, frei zu entscheiden und sich nicht dem Druck einflussreicher Gruppen unterordnen müssen.

Diese Freiheit gibt es aber nicht umsonst. Wenn unterschiedliche Glaubensbekenntnisse aufeinander treffen, werden Reibungen und Spannungen erzeugt und auch handfeste Konflikte. Das ist nicht nur normal, sondern bewahrt eine Gesellschaft vor einschläfernder Erstarrung, politisch und geistig. In einer bunter werdenden Gesellschaft ist die so beliebte Kirchturmpolitik genau so überholt wie Minarett- oder Tempelpolitik. Mit anderen Worten: Der Staat hat allen Bekenntnissen zu ihrem Recht zu verhelfen und kann sich nicht auf eine Seite schlagen.

Glaubensfreiheit ist – wie wir es jetzt im Alltag erleben – kein bequemer Grundwert, wenn er plötzlich von Menschen vieler Glaubensrichtungen beansprucht wird. Aber er ist ein Lebenselixier für ein friedfertiges Zusammenleben. Mit dem Urteil – und dafür bin ich sehr dankbar – ermutigt das Verfassungsgericht alle in Deutschland lebenden Menschen, sich des hohen Rechtsgutes der Glaubensfreiheit bewusst zu sein und es zu schützen.

Die Landesgesetzgeber erinnert das Gericht daran, das zu tun, wofür sie gewählt wurden und wofür sie großzügig ausgestattet sind, nämlich Konflikte und Spannungen im Schulalltag und in der Gesellschaft zu entschärfen und dabei die Glaubensfreiheit aller zu wahren.

Eine „feige Entscheidung“ wie der Bundestagspräsident das Urteil charakterisiert hat, ist das wirklich nicht; das Gegenteil ist der Fall: Feige ist, wer politische Entscheidungen immer wieder dem Bundesverfassungsgericht zuschiebt, weil der Mut und das Format fehlt, sich einen begründeten und grundgesetzkonformen Standpunkt zu erarbeiten und zu vertreten.

Nun sind wir alle dazu aufgefordert.

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