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Berlin: Die Unsichtbaren

In Berlin ermitteln immer mehr private Detektive. Die Geschäfte laufen gut – vor allem wegen der Wirtschaftskriminalität

„Wir war’n zwei Detektive,

die Hüte tief im Gesicht.

Alle Straßen endlos,

Barrikaden gab’s für uns doch nicht.

So singt Udo Lindenberg in einem seiner Hits. Hut, hochgeschlagener Kragen, mörderische Verfolgungsfahrten – mit der Realität detektivischer Arbeit hat das wenig zu tun. Ebenso wenig gehören Geheimnistuerei oder eine finstere Miene zur Begegnung mit einem echten Privatdetektiv – pardon, mit einer Detektivin: mit Liane Reinecke, zum Beispiel.

Sie ist schlank, Mitte Vierzig und sieht mit sportlich-blauem Pullover aus wie eine Rechtsanwaltsgehilfin. Doch ihr Alltag ist ungleich spannender. Auch wenn sie in der Regel „unsichtbar“ bleibt: Die meisten Betroffenen werden nie erfahren, dass sie im Einsatz war.

Liane Reinecke bietet „allgemeine Wirtschafts- und Ermittlungsdienste“ in der Region an. Es gibt viel zu tun, denn die Branche boomt: Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Detektive stieg die Zahl der Detekteien in den vergangenen fünf Jahren von 1375 auf über 1500. In Berlin setzen 121 Detekteien rund 22 Millionen Euro im Jahr um. Die Branche war durch die Wiedervereinigung verwöhnt: Ungeklärte Eigentumsverhältnisse bei Grundstücken und Restitutionsstreitigkeiten bescherten ihr eine Sonderkonjunktur. Hinzu kam später die illegale Abfallentsorgung in der Region.

Heute sorgen Diebstahl, Betrug und Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht – kurz: die Wirtschaftskriminalität – für volle Auftragsbücher. Auf 8,3 Milliarden Euro schätzt eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young den so verursachten Schaden bundesweit. Die Dunkelziffer dürfte erheblich größer sein. Oft führen nur Zufälle auf die Spur der Täter.

Denn die Diebe sitzen häufig im eigenen Haus. Zum Beispiel im Falle eines Speditions- und Lagerbetriebs in Brandenburg. Über Jahre bediente sich dort ein kleines Netzwerk krimineller Mitarbeiter selbst: Parfums, Laptops und Spirituosen zweigten sie aus den Lieferungen ab und verkauften die Ware an Privatleute oder kleine Läden. Jahrelang konnten die Täter rechtzeitig vor Jahresende die Inventur manipulieren. Die gestohlene Ware wurde als nicht geliefert, defekt oder sonst wie verschollen deklariert. Versicherungen, Auftraggeber oder die Firma selbst zahlten dann für den „Schwund“.

Wie der kriminelle Ring platzte? „Sie haben geprahlt und Häuser gebaut“, sagt die Detektivin. Das machte sie verdächtig. Eine außerordentliche Inventur zeigte den Umfang der dunklen Geschäfte: 180 000 Euro in ein paar Monaten. Der Firmenchef schaltete Liane Reinicke ein. In Absprache mit dem Betriebsrat baute sie Kameras auf dem Gelände auf. Der Verdacht erhärtete sich. Aber es reichte nicht, um die Tat zu beweisen.

Deshalb wurde ein Detektiv in die Firma eingeschleust. Er fand heraus: Die beiden Lagerarbeiter hatten einen Komplizen bei einem Lieferanten der Firma. Auf ganz regulären Fahrten mit regulärer Ware wurden einige Kartons mit Diebesgut aufgefüllt. Der Fahrer sortierte dieses später wieder aus und lagerte es auf dem Grundstück eines Komplizen. Dann wurde die Hehlerware über Händler in der Umgebung abgesetzt. Die Aufklärung des Falles ist typisch für die Arbeit von Detektiven: Sie beobachten, mit oder ohne Kamera. Reichen die Indizien nicht, holen sie Informationen vor Ort ein: mit Decknamen und erfundener Identität. Auch Beschattung gehört zur Arbeit.

Und das kann schwierig werden: In einem anderen Fall wurde der Beobachter schon enttarnt, als er die Verfolgung gerade aufnehmen wollte. Die Zielperson sprang aus dem Wagen und schrie ihn an: „Was fällt Ihnen ein, mich zu verfolgen?“ Sie war gewarnt worden. Um das Ziel ihrer nächtlichen Reisen herauszufinden, wurden täglich Fahrzeuge und Detektive gewechselt. Jeder verfolgte die Spur nur eine Straße lang. Nach einer Woche stand fest: Die verheiratete Frau ging in die Wohnung ihres Liebhabers.

Nicht der coole Philip Marlowe und auch nicht der aristokratische Sherlock Holmes, sondern der fahrige Inspektor Columbo ist die Kunstfigur, die am ehesten die Arbeit der Detektive beschreibt. Sagt Günter Lehmann. Er ist Chef der Detektei Grützmacher. Die Firma gibt es seit 1898. Lehmann übernahm sie vor 18 Jahren. Und er ist Vorsitzender der „Landesgruppe Ost“ beim Bund Deutscher Detektive. Wie Inspektor Columbo, sagt Lehmann, müsse der Detektiv beharrlich aus Bruchstücken von Informationen das Bild einer Straftat zusammenstellen.

Lehmann ist Betriebswirt. Das ist jedoch keine Voraussetzung für den Job: „Ein Gewerbeschein reicht“, sagt er. Amateure, so warnt Lehmann, geraten aber schnell selbst mit dem Gesetz in Konflikt: Belauschen – ist verboten; Computer hacken – ist nicht erlaubt; fremde Räume ohne Genehmigung betreten – darf man nicht. „Wer sich so Beweismittel beschafft, kann diese vor Gericht nicht verwerten“, sagt Lehmann. Und das verprellt die Auftraggeber. Denn die brauchen belastungsfähige Beweise, um ihr Problem zu lösen. Am liebsten außergerichtlich, zur Not aber mit Hilfe von Richtern.

Überhaupt: Seriöse Detektive nehmen die Spur nur dann auf, wenn die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ ihres Auftraggebers es erlauben. Einfach ausgedrückt: Wenn diese tatsächlich hintergangen, betrogen oder bestohlen werden. Dieser „Anfangsverdacht“ muss vor Gericht beweisbar sein. Schließlich greifen die Ermittler in die Privatsphäre von Menschen ein. Die Mäßigung durch selbst auferlegte Regeln trägt Früchte: Die Aufklärungsquote liegt bei 85 Prozent. Bei den meisten verbleibenden „ungelösten“ Fällen wird die Beobachtung vorzeitig gestoppt. Merke: Verbrechen lohnt sich nicht.

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