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Berlin: Die Virenfestung

Schutzanzüge, Schleusen, Säuredusche: Die gefährlichsten Erreger der Welt dürfen nur in Hochsicherheitslaboren untersucht werden. Berlin bekommt bald eines, in Hamburg gibt es schon ein ähnlich gut Geschütztes. Ein Besuch in Zeiten der Vogelgrippe

Am Fahrradständer ist man dem Tod am nächsten. Zwei Meter noch, höchstens. Er wird hinter den Panzerglasscheiben aufbewahrt, durch die man vom Hof des alten Backsteinbaus ins neonhelle Souterrain hinabschauen kann. In Kühl- und Brutschränken des Hochsicherheitslabors lagern Ebola-, Lassa- und Sars-Viren. Es ist eines der beiden am stärksten gesicherten Labore in Deutschland. Noch. Denn nebenan entsteht schon die neue, noch besser geschützte Virenfestung: Kategorie „S4“. Mehr geht nicht.

Es ist eines von drei S4-Laboren, die zurzeit in Deutschland gebaut werden. Dieses gehört zum Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Die anderen entstehen in Marburg – und am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin: Ab Ende dieses Jahres soll an der Seestraße ein Neubau entstehen, in dessen Mitte ab 2009 das bundesweit größte S4-Labor in Betrieb gehen soll. Zwar ist das RKI schon jetzt die oberste Bundesbehörde für menschliche Infektionserkrankungen und damit Anlaufstelle im Fall eines Bioterrorverdachts. Aber für manche Untersuchungen reichen die aktuellen Sicherheitsstandards doch nicht aus. Das Institut in Hamburg vermittelt einen Eindruck davon, worum es geht: um Untersuchungen an Viren, die besser nicht auf der Welt wären.

Dass gleich drei solche Laborburgen gebaut werden, hängt nicht nur mit diesen Zeiten zusammen, in denen in Amerika tödliches Anthrax-Pulver an Politiker verschickt wird und auf Rügen eine Katze an der Vogelgrippe stirbt. Auch die Fortschritte der Forschung und das deutsche Gentechnikgesetz spielen eine Rolle.

Um das Labor zu verstehen, ist eine Abenteuerreise in die Welt der Viren notwendig. Sie ist über einen kahlen Kellergang erreichbar. Die drei Türen zu ihr verriegeln sich wechselseitig. Sie sind mit dramatischen Warnhinweisen bepflastert und nur mit Schlüsseln zu öffnen, die im Büro von Laborchef Stephan Günther im Safe aufbewahrt werden. Eine Kollegin hat sie sich gerade geholt, weil sie Blutproben auf Lassa-Erreger untersuchen will. Sie hat den Schutzanzug hinter der ersten Tür hervorgeholt, fädelt sich nun durch die Öffnung am Rücken hinein, ruckelt in die angeklebten Gummistiefel und Handschuhe, schiebt die transparente Haube zurecht und klemmt den Luftschlauch an. Er dient nicht nur der Atmung, sondern erzeugt auch einen ständigen Überdruck, gegen den kein Keim ankommt. Ursprünglich sind diese Anzüge für die Arbeit in Kernkraftwerken entwickelt worden. Sie sind unbequem, und man schwitzt schnell darin. Aber sie halten den Tod fern.

Durch eine zweite Tür stapft die Frau, die jetzt wie das Michelin-Männchen aussieht, ins Labor. 35 Quadratmeter misst es. Hier wiederum herrscht Unterdruck, damit die Luft nicht nach draußen ziehen kann. Die neuen Labore werden sogar gasdicht sein. Die Frau beugt sich mühsam zum Brutschrank. Bei 37 Grad lagern die Zellkulturen in Plastikschalen mit rötlicher Nährlösung. Viren brauchen solche Zellkulturen, um zu existieren – von „leben“ zu sprechen, wäre wohl übertrieben. Ein Virus ist nicht viel mehr als ein bisschen Erbsubstanz mit Eiweißhülle. Ohne Wirt ginge es zugrunde. Aber mit ihm ist es zu Leistungen fähig, die die Forscher gerade erst anfangen zu begreifen.

Nach einem weltweit gültigen System sind die Erreger in vier Gefährdungsklassen eingeteilt – abhängig von Auswirkungen, Übertragungsrisiko und Behandlungsmöglichkeiten. Die Spanne reicht von für Menschen harmlosen Umweltkeimen über HIV bis zu Ebola. Auch das Lassa-Fieber gehört in diese gefährlichste Kategorie. An seinem Beispiel wird deutlich, wofür ein S4-Labor gut ist.

Lassa tritt ausschließlich in Westafrika auf, denn nur dort ist sein natürlicher Wirt, die Vielzitzenratte, heimisch. Diese Ratten scheiden den Erreger aus: im ungünstigsten Fall auf Getreide, das später ein Mensch isst – und erkrankt. Fatal: Mangels Fachleuten und Technik können die Erreger in vielen betroffenen Ländern nicht sofort diagnostiziert werden. „Ein Arzt dort sieht zunächst nur Fieber“, sagt Günther, der sich über jede neue Probe freut, die ihm Fachleute aus aller Welt nach Hamburg schicken.

Die Fortschritte der Virologen beruhen auch auf ihrer Sammelleidenschaft. Denn die Welt der Viren ähnelt einem riesigen Baum, der durch die Mutationen der Winzlinge ständig wächst. Je mehr Äste bekannt sind, desto größer die Chance, einen neuen Kandidaten nachzuweisen – und eine gezielte Abwehr zu organisieren. So weiß man, dass Lassa und Ebola sich nicht so weit an den Menschen anpassen, dass ihre globale Ausbreitung zu erwarten wäre. Bei der Lungenkrankheit Sars war das anders. Und bei der Vogelgrippe wird es befürchtet.

In freier Wildbahn scheinen die mutierten Sars-Viren ausgerottet, aber in Hamburg gibt es sie noch: im Laborschrank bei Stephan Günther, der gemeinsam mit einem Kollegen das Virus identifiziert und einen Schnelltest zu seinem Nachweis entwickelt hat. Die Gesundheitsministerin hat ihnen dafür das Bundesverdienstkreuz verliehen. Trotz so viel Ehre dürfen sie in Hamburg mit Viren der Stufe 4 aber doch nicht experimentieren, wie sie wollen. Sie dürfen sie zerlegen. Sie dürfen erforschen, wie ein Virus die Zellen angreift und wie es sich entschärfen lässt. Aber am Erbgut herumbasteln, um die schädlichen Stellen von den harmlosen zu unterscheiden, dürfen sie nicht.

Hier kommt das deutsche Gentechnikgesetz ins Spiel, das genetische Veränderungen an Erregern der gefährlichsten Klasse nur in S4-Laboren erlaubt, damit garantiert nichts in die Welt gelangt, was ihr gefährlich werden kann. Wenn im nächsten Jahr die ersten dieser Festungen in Betrieb gehen, müssen die Forscher nicht mehr nach Frankreich, Schweden oder Kanada ausweichen. Dabei hält Günther die Wahrscheinlichkeit, einem Virus durch Genmanipulation die Zähne zu ziehen, für größer als die umgekehrte Variante: im Labor Teufelszeug zu erschaffen.

Günther ist inzwischen in sein schlauchartiges Büro gegangen. Auf einem Monitor an der Wand ist die Kollegin im Labor zu sehen, die die Proben wieder in den Schrank räumt. Über ein Headset kann sie sich aus ihrer Plastikhaube mit den Kollegen im Büro unterhalten. Bevor sie das Labor verlässt, geht sie samt Anzug noch unter eine Dusche mit stark ätzender Peressig-Säure. Ihre Handschuhe legt sie von innen in den Sterilisator, wo sie auf über 100 Grad erhitzt werden, bevor sie von draußen entnommen werden können. Die beiden voneinander unabhängigen Luftfilter laufen weiter, damit der Unterdruck konstant bleibt.

Das neue Labor wird nicht einfach ein Raum, sondern ein ins Gebäude eingebauter Edelstahlcontainer sein. Angst vor Diebstahl? Potenzial für Biowaffen? Günther winkt ab: „Viren sind wirklich schwer zu handhaben. Das schafft keiner in einer Höhle in Afghanistan.“

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