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Der „Venuskeller“, laut Volker Kutscher „ein fiktives illegales Nachtlokal“, tauchte schon in seinem ersten Rath-Roman auf.

© Abbildung: Kat Menschik/Galiani (Ausschnitt)

Die Vorgeschichte zu "Babylon Berlin": Charlie und der Schränker

In „Moabit“ erzählen Volker Kutscher und die Illustratorin Kat Menschik die Vorgeschichte zur Reihe um Kommissar Gereon Rath.

Charlie Ritter ist die bessere Hälfte von Gereon Rath. Der Mordermittler aus dem Berlin der frühen 30er Jahre macht, begleitet und unterstützt von seiner sehr modern denkenden Freundin Charly, seit sechs Romanen eine eindrucksvolle Karriere im Genre „historische Krimis“. Und neuerdings sind die beiden in der Serie „Babylon Berlin“ zu sehen, auf Sky und 2018 auch in der ARD. Was Charly zur besseren Hälfte des lebensfrohen Mordkommissars Gereon Rath macht, ist ihr Gewissen, ihr moralischer Kompass.
Der Erfinder der beiden, der Kölner Autor Volker Kutscher, hat die junge Frau mit einem sehr ausgeprägten Sinn für richtig und falsch ausgestattet. Das gilt politisch wie für den Umgang mit Menschen - und es unterscheidet Charly klar von Gereon Rath. Woher dieser Sinn kommt, davon handelt die Erzählung „Moabit“.

Zeichnungen bereichern Geschichte

Es ist ein schön gemachtes kleines Buch für Leser, die gern in den späten Zwanzigern unterwegs sind, ohne sich den Unsicherheiten und Gefahren der Zeit auszusetzen. Das Schöne kommt von der Illustratorin Kat Menschik, die für den Galiani-Verlag eine kleine Reihe mit dem Titel „Lieblingsbücher“ gestaltet. Menschik macht „Moabit“ zum Bilderbuch, allerdings nicht im Sinne eines Comics (den gibt es schon). Kat Menschik hat Gesichter gezeichnet, gleich zu Beginn das des Berufskriminellen Adolf Winkler, der im Moabiter Zellengefängnis die letzten Tage seiner Haftstrafe verbüßt, sie hat Szenen des Stadtlebens gezeichnet und Alltagsgegenstände. Ihre Zeichnungen bereichern die Geschichte – und sie laden zu Lesepausen ein: Aha, so schön waren alte Hausfassaden, so sexy ging es im „Venuskeller“ zu, und da genau lag das Zellengefängnis.

Volker Kutscher, Autor der Gereon-Rath-Bestseller-Romane.
Volker Kutscher, Autor der Gereon-Rath-Bestseller-Romane.

© Oliver Berg/dpa

Im Zellengefängnis an der Lehrter Straße, nicht zu verwechseln mit der Untersuchungshaftanstalt Moabit von heute, arbeitet Charlys Vater als „Oberaufseher“, ein Mann mit strenger, preußischer Dienstauffassung, einem bismarckschen Schnurrbart, mit dunkler Dienstuniform – weich wird sein Gesicht nur, wenn er Charly, sein Glück, sieht – und den Eifer, mit dem sie die Schreibmaschine bearbeitet, um Geld als „Stenotypistin“ zu verdienen und studieren zu können. Das liest sich, so kurz gefasst, ein bisschen klischeehaft. Kutscher hat seine Charly so angelegt, um sie überdeutlich als sehr moderne junge Frau zu kennzeichnen, die sich weder auf den Vater noch auf irgendwelche Gönner, sondern zunächst mal nur auf sich verlassen will – eine kleine Kämpferin im großen, rasenden, dröhnenden Berlin mit seinen preußischen Behörden, seinen verrauchten Kneipen und den verkoksten Tanzlokalen. Dort lebt Charly ihre Lebenslust aus, eine Neigung, von der ihre Eltern nichts wissen – und ein weiterer Ausdruck eines modernen Frauenbewusstseins, das dann ein paar Jahre später von den Nazis durch ein traditionelles ersetzt wurde.

Die Ereignisse von "Moabit" strahlen bis "Babylon Berlin"

Charlys Nacht-Aktivitäten sind wichtig für „Moabit“, denn so bekommt sie auf dem Rückweg zur elterlichen Wohnung direkt an der Mauer des Zellengefängnisses zufällig etwas zu sehen, das zur Aufklärung eines Mordversuches beiträgt. Im Gefängnis nämlich hat ein Insasse versucht, den Schränker Adolf Winkler mit einem Messer zu töten. Winkler ist Boss der „Berolina“ – eines so genannten Ring- Vereins von organisierten Kriminellen, die sich Regeln und eine Art schwarze Ethik gegeben haben. Als solcher verteidigt Winkler vom Knast aus das Herrschaftsgebiet der „Berolina“ gegen die Ambitionen eines neuen Dunkelmannes, mit dem es in späteren Romanen auch Gereon Rath zu tun bekommen wird, mehrfach und auf dubiose Weise. Man kann das erzählerische Geschick nur bewundern, mit dem Autor Volker Kutscher hier die Schicksale miteinander verknüpft und ihnen eine Richtung gibt – das Schicksal von Charly mit dem Dunkelmann, das Schicksal des Dunkelmanns mit dem des – hier noch gar nicht vorkommenden – Gereon Rath und damit auch die Schicksale von Rath und Charly. Deren Vater kann den Mordanschlag auf den Schränker Winkler gerade noch verhindern. Bei dem Versuch, die Gründe für den Messerangriff zu ermitteln, gerät er in eine Falle. Charly ahnt die Gefahr, in der er schwebt. Sie kommt zu spät. Doch sie sieht etwas, das sie bis zum Ende ihrer Geschichte mit Gereon Rath nicht vergessen wird.

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