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Berlin: Die Wegfahrsperre ist kein Hindernis

Technisch versierte Täter haben Ingolstädter Ingenieure überlistet. Die Autos verschwinden in Osteuropa - vor allem aus BerlinWerner Schmidt Die Polizei steht vor einem neuen Phänomen.

Technisch versierte Täter haben Ingolstädter Ingenieure überlistet. Die Autos verschwinden in Osteuropa - vor allem aus BerlinWerner Schmidt

Die Polizei steht vor einem neuen Phänomen. Osteuropäische Täter haben sich offenbar auf die Oberklasse von Audi spezialisiert. Seit Beginn des vergangenen Jahres sind allein in der Stadt 140 Fahrzeuge der Typen Audi A 6 und A 8 gestohlen worden, davon 30 allein im Januar 2000. Ganz offensichtlich gelang es den erfinderischen Dieben, die Ingolstädter Ingenieure zu überlisten und die Wegfahrsperre zu überwinden. Die Berliner Polizei hat eine zehnköpfige Ermittlungsgruppe "Audi" eingerichtet.

Das Problem ist auch bei den Versicherungen bekannt. "Wir haben den Trend bereits beobachtet", hieß es aus der Allianz-Zentrale in München. Das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden drückte sich allgemeiner aus: "Es ist bekannt, dass Fahrzeuge mit Wegfahrsperren entwendet werden. Wir stehen mit den Länderpolizeien in Kontakt", sagte ein BKA-Sprecher dem Tagesspiegel. Es ist offenbar ein bundesweites Problem, das sich aber in Berlin wegen der Nähe zu Osteuropa ballt. Der Audi A 6 kostet in der preiswertesten Version 59 900 Mark, der A 8 ist ab 88 800 Mark zu haben. Die Schadenssumme geben Ermittler mit rund 20 Millionen Mark an. Nur ein knappes Dutzend Fahrzeuge konnte wieder aufgefunden werden.

Ein Firmensprecher von Audi räumte gegenüber dem Tagesspiegel ein, dass die Diebe "mit Hilfe von gefälschten Ersatzteilen die Wegfahrsperre gezielt" überbrücken. Derzeit arbeite man in Ingolstadt "mit Nachdruck an der dritten Generation der Wegfahrsperre". Sie soll von Mitte des Jahres in die Wagen eingebaut werden.

Die Fahrzeuge werden über die grüne Grenze oder mit gefälschten Papieren zunächst in Richtung Osteuropa geschafft. Auf den Markt kommen sie vorwiegend in Russland. Dort kosten sie nahezu den deutschen Neupreis zuzüglich eines hundertprozentigen Zollzuschlags. Das wiederum mache es schwierig, ausfindig gemachte gestohlene Autos nach Deutschland zurückzubringen, sagte ein Ermittler. Russland müsste dann nämlich den Zoll zurückzahlen und verweigere dies.

Die Methode, mit der die Diebe die Wegfahrsperre außer Gefecht setzen, ist ebenso genial wie rüde: Mit einem so genannten "Polenschlüssel" wird das Türschloss aufgebrochen. Anschließend wird das im Armaturenbrett sitzende Schaltgerät für die Wegfahrsperre so manipuliert, dass sich der Wagen starten lässt. In anderen Fällen haben die Täter "Dummys" des Motorsteuergeräts, der so genannten Wegfahrsperre, die im Motorraum untergebracht ist, eingesetzt. Das Originalgerät wird ausgebaut, durch den Dummy ersetzt und weg ist das Auto.

Nach Erkenntnissen der Berliner Kripo sitzen in Osteuropa Spezialisten, die die Wegfahrsperre decodieren können. Das "bearbeitete" Gerät wird dann in den gestohlenen Wagen wieder eingebaut, der Dummy geht zurück zu den Dieben, die damit den nächsten Wagen knacken. Nach Auskunft von Tüv-Spezialisten ist diese Methode nicht allzu schwierig, dafür aber effektiv.

Der gegenwärtige Trend bei den teuren Autos ist entgegengesetzt der allgemeinen Entwicklung beim Autodiebstahl. Seit 1993 sind die Diebstahlszahlen bundesweit um nahezu fünfzig Prozent gesunken. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland knapp 74 500 Autos gestohlen, gut 34 000 davon verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Von den als prestigeträchtig geltenden Marken wie Audi wurden rund 7400 gestohlen, knapp 4600 tauchten nicht wieder auf. Über 6800 BMW aller Typen wurden gestohlen, davon blieben gut 4000 verschwunden.

Bei Mercedes sieht es ähnlich aus: Gut 8500 wurden gestohlen und knapp 5400 sind für immer weg. Bleibt noch Porsche zu erwähnen: Im vergangenen Jahr entwendeten Diebe 263 Fahrzeuge der Zuffenhausener Sportwagenschmiede. 159 der Flitzer tauchten nach der Statistik des BKA bisher nicht wieder auf.

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