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Berlin: Die Welt steht Kopf

Wie es sich im Cockpit eines Fliegers anfühlt: Ein Selbstversuch

Das kleine blau-rote Flugzeug rattert los, wird schneller, hebt wackelnd vom Erdboden ab. Mir ist mulmig, aber es gibt kein Zurück. Ich sitze als Co-Pilotin im Cockpit des winzigen Flugzeugs. Festgezurrt mit einem halben Dutzend Sicherheitsgurten, die ich niemals allein wieder öffnen kann. Ein schwerer Helm drückt mir auf den Schädel. Auf dem Rücken trage ich einen Fallschirm. Worauf habe ich mich nur eingelassen: Vor dem großen Rennen der Kunstflieger, dem „Red Bull Air Race“ am Sonnabend, habe ich die Gelegenheit, ein paar Runden über dem Flughafen Tempelhof mitzufliegen.

Jetzt zieht der Pilot das Flugzeug steil nach oben: Der Österreicher Hannes Arch sitzt hinter mir, braun gebrannt und durchtrainiert: Fallschirmspringer und Extrem-Bergsteiger. Er ist ein „Red-Bull-Nachwuchs-Pilot“. Beim „Air Race“ ist er noch nicht mit dabei. Wie sein Gesicht aussieht, habe ich schon wieder vergessen. Gleichzeitig kann ich mir ein euphorisches, leicht irres Grinsen nicht verkneifen. Dabei will ich doch nett lächeln. Schließlich ist dicht vor meinem Gesicht eine kleine Kamera angebracht, die alles aufzeichnet. Mein Magen beginnt zu rebellieren. Bloß keine Schwäche zeigen. Immerhin: Wenn ich will, kann ich dem Piloten jederzeit mit einer Daumenbewegung signalisieren, dass er landen oder zumindest schön langsam geradeaus fliegen soll.

Plötzlich sackt das Flugzeug zur Seite. Dann rasen wir im Sturzflug auf ein Tor aus luftgefüllten Segeltuch-Kegeln zu. Spielzeuggroß scheinen die 19 Meter hohen, so genannten Pylonen, tief unter uns zu sein. Sie bilden den Hindernisparcours, den die Piloten beim Rennen im Slalom durchfliegen müssen. Alle meine Organe wehren sich heftig gegen den Sturzflug, sie schreien meinen Verstand lautlos an: Nimm den Daumen, stopp den Piloten, stoooppp. Wir passen niemals zwischen den Kegeln hindurch. Nein – doch: Wir rasen nur noch wenige Meter über dem Erdboden dahin, haarscharf wischen die Flügel an den Innenseiten der Kegel vorbei – wir sind durch. Nicht den Bruchteil einer Sekunde zum Aufatmen. Mit einem Ruck klappt das Flugzeug auf die Seite und mein Magen hinterher. Mir entfährt ein kurzer Schrei. Dann zieht Arch, seine Flugzeug-Hornisse senkrecht nach oben. Meine Gesichtszüge fliehen vor der Schwerkraft. Diese Filmszene will ich nie, nie, nie sehen.

„Der Horizont ist dein bester Freund“, stand in der schriftlichen Unterweisung. Man solle ihn immer im Auge behalten, um nicht die Orientierung zu verlieren. Doch jetzt reißt Arch das Blech–Insekt auf den Rücken. Ich hänge wie ein nasser Sack in den Gurten. Der Helm zieht meinen Kopf nach unten. Dann fangen wir an uns zu drehen – im Schleudergang über Tempelhof. So muss sich ein vergessenes Taschentuch in der Waschmaschine fühlen. Wo bitte ist jetzt der Horizont, wo ist oben, unten, rechts und links.

Und dann ist es plötzlich vorbei. Wir landen mit einem kleinen Hüpfer. Hände befreien mich von den Gurten. Der Pilot springt energiegeladen aus dem Cockpit. Ich krieche mit zitternden Knie hinaus – und freiwillig bestimmt nicht so schnell wieder hinein.

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