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Berlin: „Die WM-Stimmung ist nicht konservierbar“

Innensenator Ehrhart Körting zieht eine positive Bilanz, das Sicherheitskonzept habe funktioniert. In den vier Wochen des Turniers gab es keinen sprunghaften Anstieg von Straftaten und keine Hooligan-Probleme. Die Straße des 17. Juni will er nicht sperren

Herr Körting, haben Sie das WM-Finale im Olympiastadion angeschaut?

Nein, ich saß zu Hause vor dem Fernseher. Aber die Zuschauer auf der Fanmeile wie im Olympiastadion waren begeistert wie bei den Spielen zuvor. Bedauerlich, dass der französische Spieler Zinedine Zidane einen Aussetzer hatte.

Die WM ist ein Erfolg für Berlin gewesen. Sind Sie mit dem Sicherheitskonzept zufrieden gewesen?

Das geplante Konzept hat funktioniert: Wir wollten verhindern, dass Fans mit Bierflaschen oder Waffen auf die Fanmeile oder ins Olympiastadion kommen. Und das ist auch nicht passiert.

Aber trotzdem konnte ein Amokfahrer mitten in die Fanmeile fahren und Menschen schwer verletzen. Warum gab es keine Poller, um so etwas zu verhindern?

Das ist unrealistisch. Wir hatten überall in der Stadt Menschenmassen. Nach dem Spiel Deutschland gegen Argentinien gab es allein auf dem Kurfürstendamm 50.000 Fans, darunter übrigens auch ich. Menschen waren unterwegs zum Stadion und zur Fanmeile oder entfernten sich wieder davon. Für diese Menschenmassen brauchte es aber auch ausreichend Fluchtwege. Poller wären viel zu gefährlich gewesen: Stellen Sie sich vor, dass ein Feuer ausgebrochen wäre, und die Leute wären in Panik davongerannt. Dann können solche Barrieren wie zum Beispiel Poller, die sie nicht sofort wegreißen können, lebensgefährlich sein.

Aber trotzdem kam der Amokfahrer ungehindert auf die Fanmeile.

Das war die Einzeltat eines geistig verwirrten Menschen. So etwas kann man auf keinem Volksfest der Welt ausschließen. Und wir wollten ja ein Sportfest und keine hermetisch abgeriegelte Festung.

Nach der Amokfahrt registrierte man viele Hundertschaften aus anderen Bundesländern. Warum waren die Beamten erkennbar aggressiver als die Berliner Beamten?

Die Unterstützung mit bis zu 2000 Beamten aus anderen Bundesländern hatte nichts mit der Amokfahrt zu tun. Beim Eröffnungsspiel Deutschland gegen Costa Rica hatten wir nur 91 Kräfte aus anderen Bundesländern, beim Spiel Deutschland gegen Italien waren es 1735, beim Endspiel auch knapp 1700 Beamte aus anderen Bundesländern. Hinzu kamen zwischen 1200 und bei Spitzenspielen 6000 Berliner Beamte. Allerdings waren die Beamten aus anderen Bundesländern allesamt Bereitschaftspolizisten und deshalb anders uniformiert. Das hatte aber nichts mit ihrem Auftreten gegenüber den Gästen während der Weltmeisterschaft zu tun.

Trotzdem hörte man Klagen über harsche Töne und Ansprachen.

Das kann ich nicht bestätigen. Die Beamten sind mit der Berliner Situation durchaus vertraut und haben genauso gelassen reagiert wie die Berliner.

Wo waren die 1000 Berliner Hooligans?

Wir haben 700 Hooligans in der Kategorie B, das sind gewaltbereite Hooligans, die bei Krawallen mitmachen. Und 300 sind in der Kategorie C, das sind die gewaltsuchenden Hooligans. 40 Hooligans wurde per schriflicher Verfügung verboten, während der WM auf die Fanmeile oder ins Stadion zu gehen. Wir haben 450 Gefährderansprachen durchgeführt, also Gespräche mit bestimmten Personen direkt geführt und ihnen deutlich gemacht, dass sie von szenekundigen Beamten im Auge behalten werden. Hooligans sind in der Regel Anhänger von bestimmten Vereinen. Sie attackieren sich untereinander. Deshalb gibt es für Hooligans während einer Weltmeisterschaft auch wenig Angriffsflächen.

Wie sieht ein typischer Berliner Hooligan aus?

Er ist zwischen 25 und 30 Jahre alt, eher unpolitisch. Unter zehn Prozent haben eine Nähe zum Rechtsradikalismus. Bundesligavereine wie Hertha BSC haben kein nennenswertes Hooliganproblem. Die Hooligans gibt es in der dritten und vierten Liga.

Wieso konnten trotzdem Hooligans als Ordner bei der WM-Fanmeile aktiv sein?

Es gab keine Hooligans als Ordner auf der Fanmeile. Die dort von der Polizei per Video aufgenommenen Personen waren Angehörige von Sicherheitsunternehmen, gegen die keine Bedenken im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit bestanden.

Die Polizei stellte beim Sicherheitspersonal der WM-Feste neun registrierte „Gewalttäter Sport“ fest. Warum wurde das Personal vorher nicht überprüft?

Das Personal wurde vom Landeskriminalamt überprüft. Der Veranstalter hat zuvor die Personen genannt, die als Ordner eingesetzt werden sollten.

Wieso gab es bei 15 Millionen Gästen nur 1800 Taschendiebstähle – 500 mehr als sonst?

Generell ist die Zahl der Delikte während der WM nicht sprunghaft angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr hatten wir rund 2500 Straftaten mehr, alkoholbedingte Körperverletzungen, Betäubungsmitteldelikte und Taschendiebstähle. Es gab aber bei weitem nicht so viele Delikte, wie man es vorher dachte. Das lag vielleicht auch an dem heißen Wetter: Die Leute sind leicht bekleidet gewesen und haben weniger Taschen mit sich herumgetragen.

Warum gab es während der WM keine Berliner Demonstrationen?

Es waren hier außer von einer Einzelperson keine Demonstrationen angemeldet. Ich glaube, dass viele sich auch von dieser Feierstimmung der WM haben anstecken lassen: Statt auf die Straße zu gehen, wurde lieber Fußball geschaut. Außerdem hätte man keine Unterstützer gewinnen können: Die Leute hätten sich nur geärgert, wenn sie wegen einer Demo nicht mehr auf die Fanmeile gelangt wären.

Im Gegensatz zu den Befürchtungen kam es trotz Sperrung des 17. Juni in Berlin zu keinem Verkehrschaos. Warum kann man die Straße des 17. Juni nicht ganz oder teilweise nur an Wochenenden für Veranstaltungen sperren?

Eine totale oder regelmäßige Sperrung der Straße des 17. Juni ist nicht sinnvoll. Es gibt dort schon viele Veranstaltungen wie die Loveparade oder das türkische Kinderfest. Die Straße des 17. Juni ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen. Und die WM-Situation war nicht typisch: Zu bestimmten Zeiten konnten Sie sogar auf dem Ku’damm spazieren gehen, da die Leute Fußball geguckt haben. Die WM-Feierstimmung ist nicht konservierbar. Dieses tolle Fest kann man nicht jede Woche wiederholen.

Was war Ihr persönliches WM-Highlight?

Wir müssen uns vom Bild des typisch männlichen Fußballfans verabschieden. Es waren so viele Frauen auf der Fanmeile oder im Stadion. Das ist für mich auch ein Grund dafür, dass die WM so friedlich verlaufen ist. Frauen reagieren eben anders als Männer.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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