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Berlin: „Die Wut steigt – und Sie bleiben untätig!“

Herr Grottian, was ist Selbstjustiz? Selbstjustiz bedeutet, dass Personen versuchen, sich ihr eigenes Recht zu verschaffen und anderen ihre Vorstellungen aufzuzwingen.

Herr Grottian, was ist Selbstjustiz?

Selbstjustiz bedeutet, dass Personen versuchen, sich ihr eigenes Recht zu verschaffen und anderen ihre Vorstellungen aufzuzwingen. Es kann im Rahmen von Selbstjustiz auch zu Gewalttaten kommen. Muss es aber nicht. Symbolische Regelverletzungen sind Bestandteil einer Demokratie

Herr Müller, entspricht dies Ihrer Definition?

Das Entscheidende an der Selbstjustiz ist, dass sich die Menschen ohne rechtsstaaliche Mittel zu ihrem tatsächlichen oder vermeintlichen Recht zu verhelfen suchen.

Die SPD-Fraktion hat der Initiative vorgeworfen, sie übe eine Vorform der Selbstjustiz aus. Tut sie das nach diesen Definitionen?

Müller: Die Initiative zerrt Menschen, die normale Sparkassenfonds gezeichnet haben, an die Öffentlichkeit. Da geht es nicht nur um Banker, die sich in so genannten Promifonds selbst bereichert haben. Nein, hier werden ungefragt etwa Pfarrer, Anwälte, Ärzte mit n genannt. Das kommt einer Anklageerhebung gleich. Sie vergreifen sich hier in den Mitteln.

Grottian: Unser Verständnis ist, mit dem politischen Mittel der Provokation auf die skandalösen Gewinne hinzuweisen, die die Fondseigner einstreichen dürfen. Wir tangieren dabei Persönlichkeitsrechte, da haben Sie recht. Aber angesichts des politischen und sozialen Schadens, den das Land erlitten hat – ein Schaden, der die Dimensionen von Kohl und Köln übersteigt– nehmen wir diese symbolische Regelverletzung in Kauf. Die Menschen sind wütend und wollen nicht dafür einstehen, dass andere sich eine goldene Nase verdienen. Aber wir wollen differenzieren: Die Prominenten und die Politiker wussten genau, was sie da erwarben.

Die Form, die Sie gewählt haben, eine Art Denunziation, müsste doch in Widerspruch zu Ihrer politischen Grundhaltung stehen.

Grottian: Sehen Sie sich doch bitte an, was wir veröffentlicht haben. Es handelt sich hier nicht um Kleinstbeträge. Genannt haben wir Anteilseigner mit hohem Einsatz. Das sind reputierliche Stände der Republik. Ich gebe gerne zu, der Architekt in Augsburg wusste wohl nichts von den Immobiliengeschäften der Bankgesellschaft. Aber dass die Koalition dann noch die Risikoübernahme für die Bankgesellschaft und damit für die Fonds beschließt, das lässt die Wut hochkochen.

Müller: Die Wut über das, was passiert ist, teilen wir. Diese Mischung aus Größenwahn und krimineller Energie! Aber unterscheiden Sie: Wir haben im Gesetz bewusst keine Risikoabsicherung für die Promifonds. Sie aber wenden sich auch gegen Eigner von Publikumsfonds. Ja, Sie drohen sogar mit „Stadtspaziergängen“. Wir haben die Risikoabschirmung doch nicht beschlossen, weil wir Rupf und Co. unterstützen wollten, sondern um die Bank mit den Arbeitsplätzen zu retten und um noch größeren Schaden abzuwenden. Würden alle Eigner die Anteile zurückgeben hätte die Bank ein riesiges Problem.

Grottian: Mit der Risikoabschirmung haben Sie die Gefangenschaft des Landes in den Risiken der Bankgesellschaft zementiert. Verstehen Sie doch unsere Initiative als Einladung an die SPD, über andere Wege nachzudenken. Sie haben ein ganzes Heer von Anwälten damit beauftragt zu überprüfen, was man tun könnte. Aber eine Kommunikation mit den Anteilseignern hat gar nicht stattgefunden. Warum fordern Sie diese nicht auf, auf ihre Garantien zu verzichten? Die Wut steigt, und Sie bleiben untätig. Wir schlagen immerhin etwas vor, auch wenn man darüber streiten kann. Das Gefühl in der Öffentlichkeit ist doch: Bretter drauf nageln, die ganze Bank dichtmachen.

Müller: Sie steigern diese Stimmung doch noch. Das nenne ich unverantwortlich.

Grottian: Ja, es kann sein, dass wir die Wut steigern. Wir wollen gewiss nicht, dass die Bankgesellschaft den Bach runtergeht. Wir wollen aber, dass diese Gefangenschaft in der Risikoübernahme durchbrochen wird. Und es gibt andere Möglichkeiten.

Müller: Es gibt aber nicht – wie Sie unterstellen – die Möglichkeit, das Immobiliengeschäft in die Insolvenz gehen zu lassen, ohne dass das Land dafür haftet. Denken Sie denn, wir hätten das nicht geprüft? Die Konstruktion ermöglicht es nicht, einzelne Teile herauszulösen. Die Kette über die Bank bis zum Haushalt ist leider nicht zu durchbrechen.

Grottian: Sie haben sich im Gesetz zur Risikoabschirmung einen Spielraum geschaffen. Für Geschäfte, die nicht durch das Recht gedeckt und sittenwidrig sind, wird das Risiko nicht übernommen. Es gibt Spielraum – Sie nutzen ihn nur nicht offensiv genug.

Müller: Wir arbeiten unter Hochdruck an der Aufklärung der Affäre. Wir haben fast den gesamten Vorstand entlassen. Es werden über 100 Ermittlungsverfahren geführt. Der Untersuchungsausschuss prüft die Verantwortung der Aufsichtsräte. Wir haben die Controlling-Gesellschaft eingesetzt. Diese prüft, wie das Immobilienrisiko zu verringern ist und der Spielraum genutzt werden kann, den Sie ansprechen. Bei dieser Katastrophe gibt es keinen Königsweg, auch wenn Sie das suggerieren.

Die Initiative hat starken Gegenwind, aber auch erhebliche Resonanz erfahren. Hat die Koalition die zivilgesellschaftliche Aufarbeitung der Bankenaffäre versäumt?

Müller: Wir müssen noch klarer vermitteln, dass wir alles tun, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und den Skandal aufzuarbeiten.

Grottian: Die Menschen, die die Kürzungen in den Kitas hinnehmen müssen, wollen wissen, wie Berlin aus der Schuldenfalle rauskommen will. Sie wollen sehen, wie die Koalition an den Gitterstäben der Gefangenschaft rüttelt. Sie peilen einfach den Verkauf der Bankgesellschaft an, als ob damit auch die Risiken verkauft wären.

Müller: Wenn man einzelne Teile des Konzerns nicht heraustrennen kann, dann muss man über die Bank als Ganzes reden. Nochmal: Das ist nicht der Königsweg. Und entscheidend ist, dass wir uns nicht von der Bank trennen – und auf den Risiken sitzen bleiben. Sie aber lenken von den eigentlich Verantwortlichen ab.

Grottian: Wir haben eine ausgewogene Balance von Lösungsvorschlägen und . . .

Müller: . . . wie sehen Ihre Lösungsvorschläge denn aus?

Grottian: Wir brauchen eine Rechtskonstruktion, in der das Land nicht für alle privaten Geschäfte der Privatbank haftet. Raus aus der Schuldenverantwortlichkeit! Sie müssen außerdem einen neuen Aushandlungsprozess um die Fondskonditionen organisieren. Ich sage doch nicht: Schenken Sie das Geld den Armen. Wir sind Realisten. Wir wollen die Balance von Skandalisierung und Lösungen. Aber Sie mauern. Der CDU-Mann Frank Steffel hat da mehr begriffen als Sie.

Müller: Angesichts der Rolle der CDU ist diese Haltung pure Heuchelei. Unbestritten aber ist – immerhin da sind wir uns einig - dass bei den Prominentenfonds rückabgewickelt werden muss. Ich habe nicht das geringste Verständnis für Banker, die sich selbst bereichern. Bei den Publikumsfonds aber ist die Lage anders. Sehen Sie es ein: Wir kommen da nicht raus. Niemand wird uns alle Risiken abnehmen.

Grottian: Ja, das ist leider wahr. Auch unsere vorgeschlagene Strategie birgt Risiken. Aber eben auch Entlastungen für das Land.

Das Gespräch führte Barbara Junge

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