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Berlin: Die Zeit heilt kein Papier

Eine Ausstellung zeigt die Rettung von Büchern vor dem Verfall

Das Warten gehört zu ihrem Beruf. Buchbinderin Andrea Rosky wartet darauf, dass die Pappe im Buchdeckel aufweicht, dass das Papier sich löst oder der Weizenstärkekleber trocknet. In der Werkstatt der Staatsbibliothek macht Rosky wieder heil, was die Zeit kaputt gemacht hat. Hunderte von Büchern aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert hat sie schon repariert, Atlanten, Gedichtbände, Lexika, Kinderbücher. „Ein Buch wieder in Ordnung zu bringen, das dauert Wochen“, sagt Andrea Rosky. Oft müssen die Bücher komplett auseinander genommen werden, Seite für Seite. Zerfetzte Ledereinbände werden ausgebessert, Risse in den Seiten mit fasrigem Japanpapier gekittet, dann wird das Buch mit Nadel und Faden neu zusammengenäht. Im Fachjargon heißt das heften.

Über die Arbeit von Andrea Rosky und ihren über 40 Kollegen aus Binderei und Restaurierung gibt es jetzt eine Ausstellung in der Staatsbibliothek – zeitgleich mit dem bibliothekarischen Weltkongress, der seit Freitag und noch bis zum 9. August im ICC läuft. Unter dem Titel „In guten Händen“ zeigt die Abteilung für Bestandspflege, was sie gegen Säure- und Tintenfraß, Papierschäden und zerstörte Einbände tut. 10 Millionen Bücher lagern in der Staatsbibliothek, knapp 40 Prozent davon sind beschädigt. „Wir wollen den Besuchern das Ausmaß der Schäden und unsere Arbeitsmethoden erklären“, sagt Andreas Mälck, Leiter der Bestandspflege.

Mälcks Abteilung ist so etwas wie ein Krankenhaus für Bücher – samt Intensivstation. Da ist zum Beispiel die hebräische Pergamentbibel aus dem 14. Jahrhundert mit Verbrennungen dritten Grades. Die hat sie sich im Zweiten Weltkrieg zugezogen. Seit dem Brand war die 1000-seitige, 50 Kilo schwere Bibel nur noch ein angekokelter, verklebter Stapel Papier – bis Mälcks Leute sich vor drei Jahren an die Arbeit gemacht haben. Seitdem weichen sie die Seiten ein und trennen sie Millimeter für Millimeter auseinander. Rund 500 Seiten haben sie schon befreit und gesäubert. Was sie dabei alles zwischen den Pergamentbögen gefunden haben, ist beeindruckend: Steine, Glas, Stroh und Insekten.

Es sind aber nicht nur ganz alte Werke, die von den Restauratoren gepflegt werden müssen. „Die meisten Probleme bereiten uns Bücher aus dem 19. und 20. Jahrhundert“, sagt Mälck. Der Säurefraß lässt ihre Seiten zerbröseln. Bei der maschinellen Produktion von Papier entsteht Säure, die die Zellulose beschädigt. Daher hält das Papier nur 80 Jahre.

In der Staatsbibliothek sind rund drei Millionen Bücher vom Säurefraß befallen, rund ein Drittel des Bestandes. „Diese Bücher werden nicht bei uns behandelt, sondern kommen nach Leipzig in eine chemische Fabrik“, sagt Mälck. Dort werden sie in eine Maschine gesteckt und mit flüssigen Chemikalien entsäuert. So wird ihr Verfall verlangsamt. Ein Kilogramm Papier zu entsäuern kostet ungefähr 30 Euro. Bei drei Millionen Büchern, Durchschnittsgewicht pro Stück: ein Kilo – kommt da eine Menge Geld zusammen. Überhaupt ist die Bestandspflege teuer. 1,4 Millionen Euro hat die Staatsbibliothek im vergangenen Jahr dafür ausgegeben, rund ein Drittel der Summe ging dabei fürs Binden und Restaurieren drauf. „Weil das besonders zeitaufwändig ist“, sagt Andrea Rosky und legt ein DIN-A–2 großes, ledergebundenes Buch auf ihren Werktisch – 80 zerfledderte Seiten. Um das Buch zu reparieren, wird sie vier Wochen brauchen. „Mindestens“, sagt sie.

Die Ausstellung „In guten Händen“ in der Staatsbibliothek, Potsdamer Straße 33, läuft bis zum 13. September.

Dagmar Rosenfeld

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