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Berlin: Die Zeit nicht zurückdrehen In den Gemeinden werden die Reformen des Vatikans kritisiert

SONNTAGS UM ZEHN Ein wenig erstaunt ist sie schon. Erst vor sechs Jahren wurden Mädchen in der Zehlendorfer Herz-Jesu-Gemeinde als Messdiener zugelassen.

SONNTAGS UM ZEHN

Ein wenig erstaunt ist sie schon. Erst vor sechs Jahren wurden Mädchen in der Zehlendorfer Herz-Jesu-Gemeinde als Messdiener zugelassen. Alexandra Wittkopf war eine der ersten, die ministrieren durfte und ist auch an diesem Sonntag dabei. Sie mag nicht recht daran glauben, dass der Vatikan nun plant, Mädchen das Ministrantenamt wieder zu verwehren. „Das wäre ein Bruch und würde der Stimmung nicht gut tun“, meint die 20-Jährige. In der Backsteinkirche an der Riemeisterstraße gibt es etwa 50 Ministranten, schätzt Kaplan Benedikt Schnitzler und etwa die Hälfte seien Mädchen. „Wir können das Rad nicht zurückdrehen“, so der Kaplan. Es sei wichtig, dass „Kinder überhaupt in den Gottesdienst kommen“.

Und es sind eine ganze Menge gekommen: Kinder, Jugendliche und Familien bestimmen das Bild. Die kleine Kirche ist so voll, dass einige der Gottesdienstbesucher stehen müssen. Für Kaplan Schnitzler ist dies ein besonderer Tag, sein siebter Weihetag. So wird die Predigt eine sehr persönliche. Über das Priesteramt, den Wechsel aus dem Rheinland nach Berlin und über den Psalm 91. „Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen Ruhe finden. Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: ’Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich.’“ Diesen Spruch wählte Benedikt Schnitzler als Leitwort für sein Amt. Er stehe für das Fundament seines Glaubens und habe ihm Kraft gegeben auf dem Weg zum Priester. Dass dieser Weg oftmals beschwerlich war, sagt Kaplan Schnitzler ganz offen. Doch schon früh habe er die Berufung gefühlt - als Ministrant. „Mit fünf Jahren als Messdiener vor dem Altar“ habe er gespürt, dass Gott nah ist.

Das Amt des Ministranten sei eben die Vorstufe des Priestertums, meint Gemeindemitglied Ilona Hermes und kann daher verstehen, wenn Mädchen künftig nicht mehr ministrieren dürften. Zwar haben auch ihre Töchter das Amt ausgeübt, doch ist klar: „Ich warte, welche Weisungen vom Heiligen Vater kommen.“ Kaplan Benedikt Schnitzler glaubt allerdings nicht an eine derartige Weisung aus Rom. Auch wenn er persönlich vielleicht das Amt nicht unbedingt für Mädchen geöffnet hätte, so könnten doch nicht „dieselben Leute“, die weibliche Ministranten vor 12 Jahren erlaubten, sie heute wieder verbieten. Das Verbot von Klatschen und Tanzen im Gottesdienst, das ebenfalls in Rom geplant scheint, findet der Kaplan aber richtig. Schließlich wolle man in der Andacht Gott loben und preisen und kein „Happening“ veranstalten. Doch dogmatisch will der junge Geistliche auch hier nicht sein. Im Kindergottesdienst mache es den Kleinen Spaß zu klatschen und schaffe eine „gute Stimmung“. Auch ein Applaus als Dankeschön an den Chor oder an jene, die sich besonders engagieren findet Kaplan Schnitzler unverzichtbar - dann aber nach dem Segen.

Pater Schäfer von der Kirche Allerheilige in Reinickendorf forderte die über hundert Gläubigen während des Gottesdienstes sogar ausdrücklich zum Klatschen auf. Mit lautem Applaus bedankte sich die Gemeinde bei einem Pfarrer aus Simbabwe, der für zwei Monate zu Gast war. „Wir werden auch künftig klatschen und tanzen, wann immer uns danach ist", sagte Schäfer, „auch wenn Rom das nicht passt". Man werde auch keine Frauen ins Mittelalter verbannen, wie es der Vatikan wünscht. In Allerheiligen werde es selbstverständlich auch weiterhin Ministrantinnen geben. Denn nur wer kämpferisch ist und Radikalität wagt, ist für Schäfer ein wahrer Christ.

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