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Vieh in Gefahr. Rinderherden sind in Brandenburg schon lange nicht mehr sicher. Doch in diesem Jahr häufen sich die Diebstähle enorm. Mehr als 140 Tiere wurden schon gestohlen.

© Patrick Pleul/dpa

Diebstahl-Serie: Die verlorenen Rinder aus Brandenburg

Immer mehr Tiere werden in Brandenburg von offensichtlich professionellen Viehdieben gestohlen. Für viele Betroffene ist das existenzgefährdend. Die Versicherungen kündigen, die Polizei ist überfordert.

Von Sandra Dassler

Im „wilden Westen“ waren sie weitverbreitet: Viehdiebstähle, bei denen den Rindern die eigenen Brandzeichen aufgedrückt wurden, spielten in zahlreichen Western-Streifen eine wichtige Rolle.

Volker Naschke aus Schenkendöbern im Landkreis Spree-Neiße kann sich bei solchen Szenen längst nicht mehr entspannt zurücklehnen: Drei Mal wurden dem Landwirt in den vergangenen drei Jahren Rinder gestohlen: sieben Kälber 2015, 13 Kälber im Jahr zuvor, sieben im Jahr danach. „Das waren hochwertige Zuchttiere, die Versicherung zahlt nur einen Teil des tatsächlichen Verlusts“, sagt er: „Hinzu kommen Kosten für Schutzmaßnahmen im fünfstelligen Bereich. Und die Angst, dass die Diebe zurückkehren. Wir sind ein Familienbetrieb, das kann uns die Existenz kosten.“

Ganze Herden verschwinden

Volker Naschke ist kein Einzelfall in Brandenburg, wo die Viehdiebstähle seit Jahren zunehmen. Inzwischen sind immer mehr Bauern davon betroffen, teilweise verschwinden ganze Herden von den Weiden oder aus den Ställen. Allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres wurden unter anderem 37 Kühe in Lieskau im Elbe-Elster-Kreis, 32 Kühe von einer Koppel bei Luckau im Landkreis Dahme-Spreewald, vier Zuchtbullen in Neuzelle (Oder-Spree) und 30 Rinder in Jänschwalde (Spree-Neiße) gestohlen. Am Wochenende wurde gemeldet, dass sich die Viehdiebe nun offenbar auch in Sachsen betätigen: In Spreetal an der Landesgrenze zu Brandenburg drangen Unbekannte in ein Stallgebäude ein und nahmen 21 Kälber und 23 Jungrinder mit. Zudem stahlen die Täter Weidezäune und Folien. Der Eigentümer bezifferte den Schaden auf rund 35 000 Euro.

Ein Zuchtrind kostet etwa 1000 Euro

Bei solchen Summen – ein hochwertiges Zuchttier kostet etwa tausend Euro – schnellen die Versicherungspolicen rasch nach oben oder man versichert die Rinder der Betroffenen gar nicht mehr. Und die Polizei ist überfordert. „Die Kollegen geben sich ja Mühe“, sagt Volker Naschke, „aber es gibt hier nur einen Streifenwagen, den können sie nicht die ganze Nacht vor meinem Stall stehen lassen.“

Dem Landwirt ist die Resignation anzumerken. Im vergangenen Jahr sind alle Familienmitglieder von Januar bis April abwechselnd jede Nacht zum Stall gefahren. „Dann waren wir alle völlig fertig und haben es aufgegeben“, sagt Naschke. Kurz darauf schlugen die Viehdiebe zum dritten Mal zu.

In der EU sind alle Tiere registriert

„Für die Betroffenen ist das ein sehr großes Problem“, sagt Reinhard Jung, der Geschäftsführer vom Bauernbund Brandenburg: „Die starke Zunahme von Viehdiebstählen ist ein zusätzliches Argument gegen die Ausdünnung der Polizei im ländlichen Raum. Und vielleicht auch für verstärkte Grenzkontrollen, denn eigentlich kann man sich nicht vorstellen, dass diese Rinder in Deutschland verkauft oder geschlachtet werden.“

Das liege daran, dass alle Rinder in Deutschland und in der EU durch das sogenannte Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere zentral erfasst sind, erklärt Jung, der selbst Rinder hält: „Jedes Kalb bekommt spätestens sieben Tage nach der Geburt eine Ohrmarke und ohne diese Marke nimmt hier in Deutschland niemand, nicht einmal ein Schlachthof, ein Tier ab.“

Ohrmarken kann man ändern

Doch Ohrmarken kann man offenbar genauso ändern wie einst die Brandzeichen im Wilden Westen. Jedenfalls wurden an Orten, wo Rinder gestohlen wurden, schon abgerissene und auch falsche Ohrmarken gefunden. Eine hatte beispielsweise das Länderkennzeichen von Litauen, was die Ermittler als Hinweis werten, dass die gestohlenen Tiere nach Osteuropa gebracht werden.

Ein Traktorist der Agrargenossenschaft Krahne ist sich da sogar ziemlich sicher. Der Mann hatte im Mai vergangenen Jahres Viehdiebe verfolgt, die 40 Mastrinder im Wert von rund 40 000 Euro aus einer Stallanlage in der Nähe seines Hauses gestohlen hatten. Seine Frau erwachte, als der Viehtransporter mit den laut brüllenden Jungtieren vorbeifuhr, und wusste sofort, dass nachts um drei Uhr kein legaler Transport anstand.

Sie weckte ihren Mann, der fuhr mit dem Auto hinterher und holte die Diebe kurz vor der Autobahnanschlussstelle Brandenburg/Havel ein. Der Lkw fuhr nach Osten, der Traktorist gab das polnische Kennzeichen des Sattelaufliegers an die Polizei durch und folgte den Dieben weiter von der A 2 zur A 10, wo sich Autobahnpolizisten in Michendorf auf einen Zugriff vorbereiteten. Doch der Fahrer steuerte die wertvolle Fracht auf den Parkplatz der Raststätte und machte sich mit seinen offenbar im Pkw vorausfahrenden Komplizen aus dem Staub.

Auch in Polen wird gestohlen

Die Rinder waren gerettet, die Diebe wurden bis heute nicht überführt, wie ohnehin bisher offenbar keiner der zahlreichen Viehdiebstähle aufgeklärt wurde. Die Polizei vermutet, dass mit den gestohlenen Tieren neue Herden aufgebaut werden sollen, und will noch enger mit ihren polnischen Kollegen zusammenarbeiten. Die haben im Januar zumindest einen Erfolg verkünden und eine Bande zerschlagen können, die Rinder von Höfen in der nordwestpolnischen Woiwodschaft Westpommern gestohlen haben soll. Fünf Verdächtige kamen in U-Haft.

Glück gehabt, meint Bauernbund-Geschäftsführer Reinhard Jung, etwas augenzwinkernd: „Wo Viehdiebe im Wilden Westen landeten, weiß man ja.“

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