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Berlin: Diepgen auf der Flucht

BERLIN .Mehrere Demonstrationen legten gestern in Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg den Verkehr lahm.

BERLIN .Mehrere Demonstrationen legten gestern in Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg den Verkehr lahm.Etwa 20 000 Menschen versammelten sich nach einem Sternmarsch aus verschiedenen Bezirken auf dem Alexanderplatz.Kleine Gruppen Autonomer lieferten sich kurze Rangeleien mit der Polizei und mit rechten Demonstranten.

Die Großdemonstration unter dem Motto "Aufstehen für eine andere Politik" verlief bei bestem Wetter friedlich.Die Veranstalter, ein linkes Aktionsbündnis aus Arbeitslosen, Studenten, Gewerkschaftern, Kircheninitiativen, PDS und Unterzeichnern der "Erfurter Erklärung", hatten bis zu 100 000 Teilnehmer erwartet, doch wurde diese Zahl bis zum Nachmittag bei weitem nicht erreicht.Was aber für die Protestierenden kein Mißerfolg war: "Wir wissen nicht, wie viele wir sind, aber wir sind wahnsinnig viele", scholl es gegen 15 Uhr aus einem Megaphon über den Alex.

Die Veranstaltung wurde von führenden Politikern von SPD, PDS und Bündnisgrünen sowie Intellektuellen wie dem Schriftsteller Günter Grass unterstützt.Bei der zentralen Kundgebung auf dem Alexanderplatz sollte der ostdeutsche Bürgerrechtler und Theologe Friedrich Schorlemmer als einer der Hauptredner sprechen.Die Demonstration richtet sich offiziell "gegen Arbeitslosigkeit, soziale Ungerechtigkeit und Rassismus".

Frohe Stimmung herrschte schon an den drei Treffpunkten für den Sternmarsch.Am Halleschen Tor in Kreuzberg fanden sich gegen Mittag einige hundert Menschen vor einer Musikbühne ein.Ein Sangeskünstler freute sich, "daß man schon lange nicht mehr soviele rote Fahnen auf einmal sehen konnte".Das wiederum freute die Träger der roten (Kommunisten) rot-schwarzen (Anarchisten) und rot-weißen (Gewerkschaften) Fahnen und Bettücher - eine bunte Truppe.

Aus dem Norden, aus Prenzlauer Berg strebte der wohl längste Zug des dreiteiligen Sternes zum Alex.Nacheinander die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, ein Trupp, der die "Internationale Solidarität" bis zum Heiserwerden hochhielt, dann eine Gruppe, die "Millionäre besteuern" will, schließlich Arbeitslose aus Gifhorn, Friedensfrauen aus München und "Freie Christen für soziale Gerechtigkeit", die den Bischöfen ihr Salär ("16 500 DM") mißgönnen.Alle jedoch vertrugen sich.

Ein Motto einte vermutlich alle Demonstranten an diesem Tag in Mitte: "Der Kanzler muß weg".Vielfach war dies in Variationen auf Flugblättern und Transparenten zu lesen.

Aggressiver war die Stimmung nur kurze Zeit am frühen Nachmittag gewesen, als die Polizei starke Kräfte auf der Kreuzung Linden-/Friedrichstraße zusammenzog.Gegen 14 Uhr hatten vermutlich Autonome ein oder zwei Flaschen geworfen.Um 14.36 Uhr schnarrte aus dem Polizeifunk, daß sich "die Autonomen nicht mehr als geschlossene Einheit, sondern in kleinen Gruppen" fomiert hätten.

Die mit Helmen ausgerüsteten Beamten von Polizei und Bundesgrenzschutz beendeten daraufhin die Sperrung der Straße.

Zuvor, gegen 13.45 Uhr, war der Regierende Bürgermeister nach der Eröffnung der Seniorenwoche auf dem Alex von "Personen, die ihm nicht geneigt waren" angepöbelt worden, wie der Lagedienst der Polizei formulierte.Diepgen wurde unter Polizeischutz zu seinem Fahrzeug geleitet.

JÖRN HASSELMANN

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