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Lächeln erboten. Senatorin Dilek Kolat (heller Blazer) im Dong Xuan Center, einem Einkaufsmarkt mit vietnamesischen Waren und Dienstleistungen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Dilek Kolat besucht Vietnamesen in Berlin: Nur unauffällige Musterschüler? Von wegen

Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat besucht bei einer Informationstour die vietnamesische Community – und trifft dabei auf unerwartet viele Sorgen.

In der Ecke steht eine kniehohe vietnamesische Vase, aus der drei langstielige Rosen aus Kunstseide ragen, an der Wand hängt eine vergilbte Landkarte der Bundesrepublik, als die noch an die DDR grenzte, und neben der Karte zertrümmert die zierliche Frau Huong mit zarter Stimme ein Klischee. Das Klischee besagt, dass fast alle Vietnamesen in Berlin gut integriert sind und in der Schule beste Noten erzielen.

Aber jetzt sitzt hier Frau Huong im nüchternen Aufenthaltsraum des Vereins „Reistrommel“ in Marzahn und wirft Daten auf die Leinwand. Jede Zahl ein Hammerschlag auf ein Zerrbild. 41 Prozent der Vietnamesen in Berlin haben fast keine Sprachkenntnisse, 65 Prozent leben von Hartz IV, von 685 allein stehenden vietnamesischen Frauen in Marzahn beziehen 400 ALG II. Fazit von Frau Huong: „Zwei Drittel der vietnamesischen alleinerziehenden Frauen leben in Armut.“

„Reistrommel“ kümmert sich um Menschen mit vietnamesischen Wurzeln in der Stadt, Frau Huong hat eine Halbtagsstelle im Verein und will mit ihrer Botschaft die Frau im silbernen Jackett beeindrucken, die konzentriert zuhört. Aber Dilek Kolat, die Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, relativiert die Zahlen natürlich, das ist ihr Job.

Marzahn-Hellersdorf? Probleme!

Sie ist ja nicht hier, um nur schlechte Nachrichten zu kommentieren. Die SPD-Politikerin absolviert eine „Informationstour über Probleme und Perspektiven vietnamesischer Einwanderer“ – vor allem, um „die vietnamesischen Bürger sichtbarer zu machen“. Das hat sie der Presse zu Beginn übers Busmikrofon erklärt, außerdem hatte sie ja auch noch verkündet, „dass die schulischen Erfolge des vietnamesischen Nachwuchses sehr auffällig sind“. Da passen jetzt Frau Huong und die Zahlen ihrer Umfrage von 2014 nicht so ganz ins Bild.

Also erklärt Kolat freundlich, „dass man von Bezirk zu Bezirk differenzieren muss“. Und, nun ja, Marzahn-Hellersdorf sei halt leider ein Bezirk mit großen Problemen. Außerdem, keine Frage, ist die Umfrage der „Reistrommel“ nicht wirklich repräsentativ.

Oft nur Show-Veranstaltung

Informationstouren mit Presseanhang sind oft genug Show-Veranstaltungen. Die Bilder sind wichtig, weniger die Informationen. Die bleiben oft an der Oberfläche, weil die Zeit so knapp ist. Sekunden nach Frau Huong verkündet Mai-Phuong Kollath, die Moderatorin, dass leider „nur noch 20 Minuten für Gespräche zur Verfügung stehen“.

Aber Dilek Kolat hat „jetzt Fragen“. Spannende möglicherweise. Man weiß es nur nicht. Dilek Kolat fragt nicht, sie referiert. Sie wiederholt ausgiebig, was die Journalisten schon im Bus über die Situation der Vietnamesen gehört haben. Und zwar von Mitgliedern aus der Gruppe vietnamesischer Verbands- und Vereinsvertreter, die auch zum Tross gehören. Aber die Senatorin bringt dann doch noch zwei Fragen unter, eine davon lautet, was denn jene Schulabgänger machen, die nicht studieren. Die Antwort lautet, kurz gefasst und sinngemäß: Sie werden meist Selbstständige, Blumenverkäufer, Imbissbrater.

Nächste Station, ein vietnamesisches Restaurant in Lichtenberg. Dilek Kolat sitzt am Tisch mit den Funktionären und unterhält sich mit der Belegschaft, es ist kein Termin für symbolträchtige Bilder, sie führt ernsthafte Gespräche, sie hat viele Fragen, sie hört auch konzentriert zu. Vor ihr stehen Frühlingsröllchen, die Bedienung serviert Mineralwasser.

Der ursprüngliche Zeitplan ist längst gesprengt, eigentlich sollte die Informationstour in nur drei Stunden abgehakt werden, aber jetzt steuert der Bus noch unplanmäßig das Dong Xuan Center in Lichtenberg an, eine gigantische Markthalle für vietnamesische Waren und Dienstleistungen. Ein Ort für schöne Bilder, Fotografen haben darauf gedrängt, und deshalb zieht Dilek Kolat unter dem Schriftzug „Dong Xuan Center“, der auf einer Halle steht, das Fazit: „Es ist schon beeindruckend, wie sehr sich die Leute der Community gegenseitig unterstützen. Es ist sehr wichtig, dass die positiven Aspekte veröffentlicht werden.“

Frau Huong würde sicher auch gerne einen positiven Aspekt veröffentlichen: ihre Vertragsverlängerung. Nur kann sie es noch nicht. Ihr Stelle bei der „Reistrommel“ ist derzeit nur bis zum Jahresende befristet. Einen großen Report über das schwierige Verhältnis von Berliner Nord- und Südvietnamesen lesen Sie am Sonnabend in unserem Magazin „Mehr Berlin”.

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