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Fußgänger sind im Straßenverkehr klar im Nachteil. Nach Unfällen begehen viele Autofahrer Fahrerflucht.

© Gerhard Zerbes/Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V./obs

Diplomaten in Berlin: Undiplomatische Verkehrsteilnehmer

Ob Falschparken oder Trunkenheit am Steuer: Botschaftsmitarbeiter können auf Berlins Straßen tun, was sie wollen. Ein 19-Jähriger hat das nun schmerzlich erfahren.

Die Schmerzen im Rücken sind noch nicht weg. Am Sonnabendmittag wurde Shawn Bartelborth von einem Auto angefahren. Bei grünem Ampellicht wollte der 19-Jährige die Tauentzienstraße überqueren. Die Polizei ermittelte den abbiegenden Autofahrer als Unfallverursacher – und dennoch macht sich der 19-Jährige Sorgen. Denn der Geländewagen hat ein Diplomatenkennzeichen.

„Ich habe nur das Aktenzeichen der Polizei“, sagt der junge Mann ratlos. „Wer zahlt jetzt das Krankenhaus?“ Bartelborth erlitt eine Hüftprellung und eine Gehirnerschütterung. Der Fahrer des Wagens habe nur desinteressiert dagestanden und kein Deutsch gekonnt, berichtet Bartelborth. Zum Glück hätten sich viele Passanten bis zum Eintreffen des Rettungswagens um ihn gekümmert.

Der 19-Jährige hat noch mehr Glück gehabt: Der iranische Diplomat ist nicht abgehauen, sondern hat angehalten. Das ist eher die Ausnahme. Nach Angaben der Innenverwaltung gab es im vergangenen Jahr 79 Unfälle mit Beteiligung eines Diplomaten – in 50 Fällen fuhr dieser einfach davon. 25 Menschen wurden bei Unfällen mit diplomatischer Beteiligung verletzt.

Ein Diplomat darf sogar den Alkoholtest am Steuer ablehnen

Seit Jahren fährt mehr als die Hälfte der Diplomaten nach Unfällen einfach weg. Der Grund ist einfach: Es droht keine Strafe. Ein Diplomat kann letztlich machen, was er will, Bußgeldbescheide dürfen nicht einmal an eine Botschaft zugestellt werden. „Diplomatische Immunität schließt jede inländische Strafverfolgung aus“, teilt die Innenverwaltung mit – das gilt für den Botschafter ebenso wie für den Pförtner.

Seit 2005 fragt der CDU-Innenpolitiker Peter Trapp die Verkehrssünden der Diplomaten jährlich ab. Das Ergebnis ist erschreckend: Die Zahl der überhaupt erfassten Ordnungswidrigkeiten stieg von 6900 auf mehr als 24.000. Straftaten werden gar nicht statistisch erfasst – damit es keine diplomatischen Verwicklungen gibt. Unfallflucht wird ebenso wenig geahndet wie Alkohol am Steuer. Ein Diplomat darf sogar den Alkoholtest ablehnen, nur ausweisen muss er sich.

Saudi-Arabien führt die Sünder-Liste traditionell an

Der Wagen, der Shawn Bartelborth anfuhr, hatte das Kennzeichen „0-59-16“. Das Nummernschild beginnt bei Diplomaten mit einer „0“, dann folgt die Länderkennung und zuletzt eine fortlaufende Nummer. Der Botschafter hat traditionell hinten die „1“. Das Nummernschild des US-Botschafters beispielsweise sieht so aus: 0-17-1. Derzeit sind für das Diplomatische Corps 2786 Fahrzeuge zugelassen. Angeführt wird die Sünderliste traditionell von Saudi-Arabien. Bis zum Jahr 2013 fand sich mehrfach auch der Iran auf der Liste der von der Innenverwaltung geführten „Top Ten“-Liste, obwohl das Land lediglich 41 Autos angemeldet hat.

Rechtsanwälte empfehlen Opfern wie Shawn Bartelborth, einen Fachanwalt zu konsultieren. Letztlich werde die Versicherung im Zuge der Halterhaftung den Schaden tragen. Zur Not könne die Versicherung über die Zulassungsstelle und den Zentralruf der Autoversicherer ermittelt werden, schreibt Roman Becker, Berliner Fachanwalt für Verkehrsrecht, auf seiner Internetseite.

Schlagzeilen machte 2004 die Chaosfahrt des bulgarischen Botschafters, der betrunken einen Polizisten anfuhr und verletzte. Eine Strafe gab es nicht, allerdings musste Nikolai Apostolow wenig später Berlin verlassen. Ob das auf Druck des Auswärtigen Amtes geschah, darüber schweigen Diplomaten. 2007 verschickte das Auswärtige Amt eine „Rundnote“ mit der Bitte um Beachtung der Straßenverkehrsordnung. Dieser Appell aber blieb allzu oft ungehört.

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