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Diplomatie: Man spricht Deutsch

Kanadas neuer Botschafter Peter Boehm ist mit seinem Gastland besonders verbunden: Aufgewachsen ist der Diplomat in einem ehemaligen Berlin in der Nähe von Toronto.

Eine seiner ersten Anschaffungen nach der Ankunft in Deutschland war ein Stadtplan, der den einstigen Mauerverlauf zeigt. „Alles, was mit der Mauer zu tun hat, interessiert mich“, sagt Peter Boehm und zeigt aus dem Panoramafenster seines Büros in einem der oberen Stockwerke der kanadischen Botschaft am Leipziger Platz. Von seinem mit moderner kanadischer Kunst und traditionellen Indianer-Skulpturen geschmückten Arbeitszimmer schaut der promovierte Historiker auf den ehemaligen Todesstreifen. Für einen Geschichtsfan wie ihn einer der aufregendsten Ausblicke, die man in Berlin haben kann.

Seitdem Boehm im vergangenen September sein Amt als Botschafter antrat, haben der 54-Jährige und seine Familie der deutschen Geschichte in vielen Spaziergängen und Radtouren durch die Stadt nachgespürt. Vor allem die Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Folgejahre fasziniert Boehm, er war am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow und in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen – nicht nur aus beruflichen Gründen: „Ohne den Krieg wären meine Eltern nicht vertrieben worden und nicht nach Kanada ausgewandert – und ich lebte wohl heute in Siebenbürgen und hätte einen großen Bauernhof.“

Unter den in Berlin stationierten Botschaftern aus aller Welt sticht der hoch gewachsene Böhm heraus. Nicht nur wegen seiner Größe, sondern vor allem dadurch, dass er fließend Deutsch spricht - seit frühester Kindheit. Boehms Eltern gehörten zur deutschsprachigen Minderheit im rumänischen Siebenbürgen, bevor sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs flüchteten und nach Kanada auswanderten, wie Boehm mit dem leicht rollenden „R“ erzählt, das für den Dialekt der Siebenbürgen typisch ist. Ein wenig klingt der Botschafter wie Peter Maffay, wohl der bekannteste Siebenbürger Sachse in Deutschland. Boehm wuchs in Kitchener auf, einer von deutschstämmigen Einwanderern geprägten Kleinstadt in der Nähe Torontos. Bis 1916 hieß Kitchener Berlin. Zu Hause sprach die Familie Deutsch, Boehm engagierte sich als Jugendlicher im Transsilvanischen Club und bei der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen. Bis heute ist Deutsch die Sprache, in der die vier Kinder von Boehm und seiner ebenfalls aus einer deutschsprachigen Familie stammenden Frau mit ihren Großeltern reden.

Trotzdem dauerte es 27 Jahre im Dienste der kanadischen Regierung, bevor der Diplomat die Gelegenheit bekam, seine Muttersprache bei der täglichen Arbeit zu benutzen. Vor dem Einsatz in Berlin vertrat er Kanada in Kuba, Costa Rica und vor allem lange in Washington als Botschafter der Organisation der Amerikanischen Staaten und als Gesandter an der Botschaft. Mehrfach zeichnete ihn die kanadische Regierung für seinen Einsatz aus, so 1993 für seinen Einsatz für den Frieden in Mittelamerika.

Dass er die Sprache seines Einsatzlandes spricht, sieht der Literatur- und Musikfan als großen Vorteil, vor allem bei Begegnungen außerhalb der politisch-diplomatischen Welt. „Wenn ich bei meinen Reisen durch Deutschland Bürgermeister oder Unternehmer treffe, kriege ich einen ganz anderen Zugang – vor allem in den neuen Bundesländern, wo Englisch oder Französisch bei Menschen meiner Generation nicht so weit verbreitet ist.“

Seine Offenheit und sein Verständnis deutscher Besonderheiten wird Boehm in Kürze wohl auch bei einem anderen deutsch-kanadischen Reizthema einsetzen, das jedes Jahr wieder zu leichten Verstimmungen führt: Wenn im Frühling an der Küste Kanadas die Robbenjagd beginnt, dürften auch dieses Jahr wieder Tierschutzgruppen vor der Botschaft spektakuläre Proteste inszenieren. „Ich werde versuchen, auch auf die Gegner der Jagd zuzugehen und ihnen zu erklären versuchen, dass die Jagd für viele Bewohner der Küste zu ihrer Tradition gehört und keine Tierquälerei ist“, sagt Boehm.

Zu einer anderen brisanten deutschen Debatte wurde Boehm gleich nach seiner Ankunft in Deutschland hinzugezogen: Kurz nach seinem Amtsantritt gab es die ersten Einladungen, als Vertreter des Multikulturalismus-Ursprungslandes an Podiumsdiskussionen über Einwanderung und Integration teilzunehmen. Was er, selbst Sohn von Einwanderern, von der aufgeladenen Debatte in Deutschland hält? „Wir haben auch nicht die Antwort auf alle Fragen“, sagt er diplomatisch. Kanada sei mit seiner strikten Auswahl von Einwanderern bislang gut gefahren. „Wir haben aber keine Lösung für alle anderen Länder.“ Lars von Törne

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