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Direkte Demokratie: Aufbegehrt

Tempelhof, knöllchenfrei Parken, historisches Stadtbild: Wer mit der Politik des Senats nicht einverstanden ist, kann ein Volksbegehren anstreben. Wir stellen sechs Initiativen vor.

Demokratie ist Herrschaft des Volkes, nicht der Parteien. Im Oktober 2006 wurden die Hürden für Volksbegehren auf Landesebene niedriger gehängt. Seitdem boomt das Gewerbe der direkten Demokratie auch in Berlin. Wir stellen die wichtigsten Initiativen und die Bürger vor, die sie angestoßen haben.

GLEICHBERECHTIGUNG FÜR RELIGION

Dass es auf dem Goethe-Gymnasium zu seiner Zeit keinen katholischen Religionsunterricht gab, darüber kann sich Christoph Lehmann noch 30 Jahre später erregen. Er musste damals zur evangelischen Konkurrenz gehen, um über Gott und seine irdischen Kritiker mitreden zu können. Jetzt endlich kann Lehmann, Rechtsanwalt, CDU-Mitglied und Katholik, seinen jugendlichen Protest gegen konfessionelle Diskriminierung mit einem schlagkräftigen Instrument fortführen. Das Volksbegehren „Pro Reli“ will den Religionsunterricht zum ordentlichen Schulfach erheben, gleichberechtigt neben Ethik, egal, ob christliche oder islamische Glaubensinhalte vermittelt werden. „Pro Reli“ entstand am Frühstückstisch der sechsköpfigen Familie Lehmann aus Zehlendorf. Als im Oktober 2006 die Hürde für Volksbegehren gesenkt wurde, begann im Familienrat die Diskussion. Anfang des Jahres sprach Lehmann Kirchengemeinden und Parteien an und stieß auf viel Sympathie. Auch seine Kinder machen mit. Seit Anfang Juni werden Unterschriften gesammelt. 120 000 Bögen wurden an interessierte Kreis versandt. „Jeden Tag gehen rund 100 Unterschriften in der Geschäftsstelle ein“, sagt Lehmann. Der hohe Rücklauf hat die Initiatoren selbst überrascht.

Lehmann hat ein paar Semester in Genf studiert und dort einen Kurs über die Schweizer Referenden belegt. Seitdem sieht er das Instrument der Volksabstimmung durchaus zwiespältig. In der Schweiz zeige sich oft das „Beharrungsvermögen“ großer Bevölkerungskreise - aus Angst und Unwissenheit werden Reformen blockiert. „Bei lokalen Entscheidungen finde ich ein Volksbegehren dagegen gut.“

HISTORISCHES STADTBILD

Annette Ahmes Wohnung in der Stresemannstraße ist eine Asservatenkammer des untergegangenen Berlins. Die Säulen aus der Fassade eines abgerissenen Nachbarhauses bekleiden die Wände des Musikzimmers. Dazwischen hängen Daguerreotypien, Ansichten der Stadt aus dem Jahr 1860. Damals war Berlin noch „lesbar“, sagt die gelernte Historikerin Ahme. Darum allein gehe es ihr. Eine Stadt soll ihre Geschichte selbst erzählen können, in der Sprache ihrer Gebäude, ohne die Hilfe von Archäologen und Bauhistorikern. Annette Ahme, ehemalige Hausbesetzerin und Mitglied der Alternativen Liste, kämpft schon seit Jahrzehnten gegen den Gestaltungsanspruch moderner Architekten. Das Volksbegehren zur „Rettung der Museumsinsel“ ist nur ein weiterer Baustein. Konkret geht es um den Innenausbau des Neuen Museums und den Neubau des Empfangsgebäudes, der „James-Simon-Galerie“. Frau Ahme und ihre prominenten Mitkämpfer wie Moderator Günther Jauch und Holocaust-Denkmal-Initiatorin Lea Rosh können gut auf das Empfangsgebäude verzichten. Außerdem wünschen sie sich eine Rekonstruktion des Neuen Museums nach historischen Plänen.

Das Volksbegehren wurde vor kurzem überraschend „unterbrochen“, nachdem Architekt David Chipperfield überarbeitete Pläne für die Empfangshalle vorgestellt hatte. Die Kritik der Fachleute fiel überwiegend positiv aus, ganz anders als nach den ersten Entwürfen. Ahme fordert nun eine „Eins-zu-Eins-Simulation“ des Gebäudes, also eine Fassadenhülle wie anno 1993 für das Stadtschloss. Danach werde entschieden, ob das Volksbegehren weitergeht. 6000 Unterschriften wurden laut Ahme gesammelt. Die 170 000 Unterschriften zusammenzubekommen, die für die zweite Stufe des Verfahrens nötig sind, hält sie jedoch für ziemlich unmöglich: „Dazu ist die Sache nicht skandalös genug.“

KNÖLLCHENFREI PARKEN

Wenn die Politiker nicht so „ignorant“ wären, hätte sich Achim Ruppel die „Knochenarbeit“ eines Volksbegehrens niemals aufgehalst. Seine Zeit kann er produktiver einsetzen, als Drehbuchschreiber oder TV-Produzent. Das Manuskript eines Psychothrillers liegt versandfertig auf dem langen Esstisch seiner Dachgeschosswohnung in der Charlottenburger Gervinusstraße. Dennoch haben sich die Diskussionen vor Supermärkten und U-Bahnhöfen gelohnt. Das Bürgerbegehren gegen die Ausweitung der Parkzone in Charlottenburg ist erfolgreich abgeschlossen, am 23. September wird abgestimmt. Ruppel und sein Initiatoren-Team könnten sich eigentlich zurücklehnen. Der Bürgerentscheid läuft wie eine reguläre Wahl in der Regie des Bezirksamtes. Auch die Kosten trägt ab jetzt der Steuerzahler. Aber um den Wähler zu mobilisieren, müssen sie doch wieder raus auf die Straße.

Ruppel ist auf seine Art ein Autonomer, einer mit bürgerlichem Hintergrund. Er respektiert den Staat, mag aber nicht, wenn der sich unnötig in seinen Alltag drängt. Wenn Ordnungsamts-Mitarbeiter Knöllchen verteilen, empfindet er das als organisierte Form des Denunzierens. Den Grünen, deren Vertreter ihm früher sympathisch waren, wirft er vor, „ideologisch verbohrt“ zu sein in ihrem Kreuzzug gegen das Auto. Die Grünen haben die Ausweitung der Parkzone erst ins Rollen gebracht.

Ruppel sagt, es gebe in seinem Kiez ausreichend Parkplätze. Die kleinen Gewerbetreibenden seien mehrheitlich gegen Parkgebühren und Anwohnerausweise, weil sie sich einen teuren Stellplatz nicht leisten könnten. Doch was die Betroffenen denken, habe die grünen Bezirkspolitiker bislang nicht interessiert, sagt Ruppel.

Deshalb soll nun das Volk entscheiden. CDU und FDP im Bezirk haben ihre Unterstützung zugesagt. Ruppel wird den Wahlkampf managen. Das hat er schon mal gemacht, im Ursprungsland aller Wahlkampagnen, den USA. 1988 arbeitete er für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Michael Dukakis. Der verlor dann bekanntlich gegen George Bush Senior.

MEHR KLARHEIT BEIM WASSER

Eine selektive Informationsstrategie in persönlichen Dingen kann von Vorteil sein. Thomas Rudek, mit Zopf, Bart und Cordhose schnell als Linker zu erkennen, lehnt sich im blauen Kunstledersessel nach vorne und überlegt, ob die Erwähnung einer Tätigkeit im Goethe-Institut seinem Anliegen in bürgerlichen Kreisen vielleicht Auftrieb verschaffen könnte. Für ein Volksbegehren muss man in allen politischen Milieus um Sympathie werben. Rudek, gelernter Politikwissenschaftler und Berater für Öffentlichkeitsarbeit, weiß, wie man erfolgreich politische Kampagnen lanciert.

Als Student engagierte er sich gegen das „Wohnheimsterben“, später rückten der Bankenskandal und die Hartz-IV-Gesetze in den Fokus seiner Arbeit. Auf die Problematik der Berliner Wasserbetriebe sei er bei Attac aufmerksam geworden, erzählt Rudek. Weil die Teilprivatisierung mit ihrer Garantieverzinsung für private Anteilseigner zu hohen Wasserpreisen führt, birgt das Thema Wasserbetriebe ein hohes Kampagnenpotential. Daran ein Volksbegehren zu knüpfen, versteht sich fast von selbst.

Das Volksbegehren fordert nicht, die Teilprivatisierung rückgängig zu machen - damit wäre das Vorhaben schon gescheitert, weil das Budgetrecht des Parlaments tangiert würde. Es geht darum, die geheimen Verträge zwischen dem Land Berlin und den Investoren RWE und Veolia öffentlich zu machen und damit juristisch angreifbar. Durch die Geheimhaltung würden die Wasserbetriebe, die immer noch mehrheitlich dem Land gehören, der öffentlichen Kontrolle entzogen, erklärt Initiator Rudek.

Versuche, auf Politiker einzuwirken, seien fruchtlos geblieben, sagt er. Auch die Linke und die Grünen würden das Thema nur halbherzig angehen. „Die Basis ist kritisch, kommt aber oben nicht durch.“ Das Volksbegehren zur Offenlegung der Privatisierungsverträge ist also auch ein Misstrauensantrag gegen die etablierten Parteien.

EIN KONTO FÜR ALLE

Die Modebranche, auch so ein Haifischbecken. Zehn Jahre hielt Sabine Finkenthei es darin aus, dann kroch sie auf den Beckenrand, um mal Luft zu holen, studierte Jura und stürzte sich hochmotiviert ins nächste Haifischbecken, die Politik. Sabine Finkenthei hat sich eines der sperrigsten Themen ausgesucht, die auf dem Markt der Bürgerinitiativen derzeit im Angebot sind: Das 2005 verabschiedete Sparkassengesetz. Eigentlich hat sich außerhalb der informierten Kreise kaum jemand dafür interessiert.

Die 46jährige Juristin und gelernte Schneiderin hat sich auf Gesellschafts- und Steuerrecht spezialisiert, ein steiniges Terrain, unter dem Milliarden von Euro begraben liegen. Sie wollte nach dem Studium nicht einfach mitverdienen, sondern helfen, das juristisch unwegsame Gelände der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Fortan war ihr Arbeitsplatz in der Initiative Bankenskandal, die mit der Aufarbeitung der eigentlichen Bankenaffäre längst nicht mehr ausgelastet ist. Das Sparkassengesetz ist, so sieht es Frau Finkenthei, längst nicht so gut, wie es sein könnte. In dem Volksbegehren wird deshalb ein Alternativentwurf zur Abstimmung gestellt. Danach soll jeder Berliner das Recht haben, bei der Sparkasse ein Konto zu eröffnen, egal, wie pleite er ist. Die Sparkasse soll einen Verwaltungsrat erhalten, der sie effektiv kontrollieren kann. Und das Regionalprinzip soll wieder gelten, also eine Beschränkung der Geschäfte auf Berlin, wie es auch in anderen Bundesländern üblich ist. Das Ziel: „Die Sparkasse soll sozialer werden und sich um kleine und mittlere Unternehmen kümmern.“

Das zweite Ziel der Initiative ist eine Watsche gegen den Senat, der das Erstellen von Gesetzestexten immer öfter externen Dienstleistern überlässt. Das Sparkassengesetz wurde von der internationalen Großkanzlei „Freshfields“ ausgearbeitet.

TEMPELHOF ERHALTEN

Bernhard Liscutin kam 1990 nach Berlin, weil sein Arbeitgeber, die belgische Fluglinie Sabena, am deutschen Vereinigungsaufschwung teilhaben wollte. „Von Bonn nach Brüssel fuhren die meisten Politiker mit dem Zug. Von Berlin aus war das zu weit, also würden sie künftig fliegen.“ Natürlich vom nächstgelegenen Flughafen aus, von Tempelhof. Das lag für Liscutin auf der Hand, also bezog er ein Büro im Flughafengebäude.

„1990 sagten die Leute vom Bundesministerium für Verkehr, sie würden auch nach Tempelhof ziehen.“ 10 Jahre später, als Liscutin in Rente ging, war davon längst keine Rede mehr. Über Tempelhof schwebt seitdem das Todesurteil, nur Liscutin, heute 74 Jahre alt, will sich damit partout nicht abfinden. Er ist Präsident der „Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof“, die den Flughafen per Volksentscheid retten will.

„Tempelhof hat ein ungeheures Potential, das man einfach verkommen lässt“, sagt der ergraute Luftfahrtexperte und hebt dabei nur sacht die Stimme. „Es ist der einzige Flughafen in Europa, den die Bevölkerung erhalten will."

Der gebürtige Duisburger Liscutin hat 40 Jahre als Manager bei der Sabena gearbeitet. Eigentlich wollte er gar nicht in die Luftfahrt, sondern ans Lehrerpult. Ein älterer Freund, der bei Sabena arbeitete und eine schicke Uniform trug, machte jedoch Eindruck und löste die entscheidende Bewerbung aus.

Liscutin sagt, die Angelegenheit sei ihm keine Herzenssache, er wolle die Politik nur vor einem „großen Fehler“ bewahren. Er argumentiert nicht als Rosinenbomber-Romantiker. Tempelhof sei heute noch modern und funktional, ein zeitloses Bauwerk, das selbst die Menschen in der Einflugschneise von sich überzeugt habe.

Sollte bei der Volksabstimmung doch eine andere Mehrheit zustande kommen als die bisherigen Umfragen vermuten lassen, will er sich nicht grämen. Liscutin zuckt mit den Schultern: „Dann eben nicht.“

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