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Diskussion: Auswege aus der Wohnungsnot

Die steigenden Mieten in Berlin machen einige Kieze für viele unbezahlbar. Experten diskutierten in der Urania die Entwicklung der Innenstadt.

Es brodelt auf dem Wohnungsmarkt. Die Nachfrage ist größer ist als das Angebot, die Mieten steigen, immer weniger Berliner können das bezahlen. Über Gentrifizierung und die Frage, ob Wohnen in der Innenstadt ein Luxus für Ausgewählte sei, diskutierten Ricarda Pätzold vom Institut für Stadtplanung der Technischen Universität, Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) und der Geschäftsführer des Mietervereins, Reiner Wild am Mittwochabend in der Schöneberger Urania. Dabei waren sie sich beinahe schon zu einig: Berlin brauche eine neue Wohnungspolitik und Stadtplanung. Eingeladen zu dem Gespräch hatten Urania, Tagesspiegel und Architektenkammer Berlin. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) hatte eine Einladung abgelehnt.

Der Senat müsse endlich die Wohnungsknappheit anerkennen, forderte Mietervertreter Wild. „Wir haben längst nicht so viel Leerstand, wie behauptet.“ Die Nachfrage sei derart groß, dass Vermieter in begehrten Kiezen den Preis bis zu 150 Euro im Monat hochschrauben könnten. Wild verlangte, die Ergebnisse einer neuen Untersuchung zum Leerstand zu veröffentlichen. Sie würden seit einem Dreivierteljahr zurückgehalten. Bezirksbürgermeister Schulz kritisierte, dass Wohnungen wie auf dem Warenmarkt gehandelt und verkauft würden, um Rendite zu erzielen. „Der Mieter mit seinen Rechten ist nur ein Anhängsel“, sagte Schulz. Das führe dazu, dass in Berlin in zehn Jahren dieselbe Situation wie in anderen internationalen Großstädten herrsche: Die Reichen wohnten im Zentrum, der Rest, darunter auch viele Kreative, deren Zuzug in bestimmte Kieze die Gegenden für Besserverdienende erst interessant machten, am Rand. Dass die Quartiere „von heute auf morgen entmischt sind“, glaubt Stadtplanerin Pätzold nicht. Entkräftigen konnte sie die Befürchtung von Moderator Gerd Nowakowski, Leiter des Ressorts Berlin/Brandenburg beim Tagesspiegel, dass Berlins bunte Ecken wie Kreuzberg verschwinden und zu Monokulturen werden könnten, allerdings nicht. Das Publikum im voll besetzten Saal blieb trotz der Brisanz des Themas weitestgehend ruhig.

Um der aktuellen Entwicklung in der Stadt entgegenzusteuern, fordern Pätzold und Schulz eine Deckelung des Mietpreises bei Neuvermietungen. Das würde Mietsteigerungen unterbinden und die Attraktivität der Wohnungen für Großinvestoren nehmen, sagte Schulz. Zudem müsse verboten werden, dass Wohnungen als Pensionen vermietet werden und damit dem Markt nicht zur Verfügung stehen.

Eine andere Angst vieler Berliner ist, dass aus ihrer Mietwohnung plötzlich eine Eigentumswohnung werden soll. Mieter in den Bezirken Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg sind durch eine Verordnung zeitweise dagegen geschützt, weil der Kündigungsschutz in solchen Fällen sieben statt der üblichen drei Jahre beträgt. Im Sommer läuft die Verordnung allerdings aus. Bezirksbürgermeister Schulz fordert vom Senat eine Verlängerung – dann mit dem rechtlichen Maximum von zehn Jahren anstatt sieben. Schulz forderte weiterhin, dass die Möglichkeiten zur Mieterhöhung auf Bundesebene geändert werden müssten. Die nach einer Modernisierung erhöhte Miete solle nur solange bezahlt werden, bis sich der Umbau amortisiert habe. Außerdem solle die Miete nur erhöht werden dürfen, wenn eine tatsächliche Steigerung des Wohnwerts vorliege. Andernfalls dürfe nur die Inflation ausgeglichen werden, was in drei Jahren etwa sechs Prozent seien. Bei Neuvermietungen müsste der Mittelwert des Mietspiegels herangezogen werden. Mietervertreter Wild ging einen Schritt weiter: Die Mieter sollten die Möglichkeit haben, selbst nach Vertragsabschluss den Preis zu drücken.

Wohnungsneubau könne das Problem der steigenden Mieten ebenfalls nicht alleine lösen. Darin waren sich die Teilnehmer einig. Zwar sei Neubau wichtig, weil er den Markt ergänze, sagte Wild. Aber er nütze vor allem mittleren und hohen Einkommensschichten. Mit Blick auf die Schwächeren müsse man mit genannten Möglichkeiten vor allem eine Explosion der Bestandsmieten verhindern, sagte Stadtplanerin Pätzold. Noch wichtiger ist für Schulz, eine Kehrtwende beim sozialen Wohnungsbau. „Die Zielsetzung, den 800 000 bis 900 000 Geringverdienern eine finanzierbare Wohnung zu stellen, erfüllt der städtische Wohnungsbestand nicht mehr“, sagte Schulz. Die meisten der über 200 000 Sozialwohnungen seien pro Quadratmeter fast einen Euro teurer als der Berliner Durchschnitt. Und die Zahl der Wohnungen, auf die die Stadt Einfluss nehmen könne, verringere sich. Nun müsse gehandelt werden. Denn „es gibt ein Recht auf Wohnen in der Innenstadt.“

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