zum Hauptinhalt

Berlin: Doppelt präsent

Näher als Klaus Wowereit kann man an George W. Bush gar nicht dran sein.

Näher als Klaus Wowereit kann man an George W. Bush gar nicht dran sein. Das hat er Gerhard Schröder zu verdanken. Was der Regierende Bürgermeister angerichtet hat, das hat der Bundeskanzler wieder eingerichtet. Erst wollte Wowereit beim Besuch des amerikanischen Präsidenten durch Abwesenheit glänzen. Dann verschob er seine Australienreise als Bundesratspräsident auf politischen Druck um zwei Tage. Und nun ist er happy über das Abendessen mit Bush und Schröder im Literatur-Café Tucher am Pariser Platz.

Der Kanzler soll ihn auch zur Verschiebung der Reise veranlasst haben. Das versichert jedenfalls ein SPD-Senator. Wowereit lässt hingegen verbreiten, dass es ganz allein seine Entscheidung war. Wie auch immer, die Kritik von Opposition und Presse haben den Sinneswandel über Nacht bewirkt. Wowereit hatte schlicht verkannt, dass der Berlin-Besuch Bushs ein großes Ereignis ist, auch wenn es protokollarisch nur ein Arbeitsbesuch beim Kanzler ist.

Wowereit ließ, als er davon erfuhr, durch Senatsprotokollchef Christian Stocks bei der US-Botschaft anfragen, ob eine Begegnung mit dem Regierenden Bürgermeister geplant werde. Antwort laut Senatssprecher Michael Donnermeyer: Keine Zeit, reiner Arbeitsbesuch, der nicht dem Land Berlin gelte, ein „Stop over“ auf dem Weg Bushs nach Moskau. Da dachte sich Wowereit, dann könne er auch termingerecht nach Australien reisen. Berlin müsse sich daran gewöhnen, dass der amerikanische Präsident nicht mehr aus eigenem Recht als Schutzmacht kommt.

Erst eine Fehlmeldung über die angebliche Wowereitsche Urlaubsreise entfaltete Brisanz, so dass Wowereit die Notbremse zog. Inzwischen weiß er wohl, dass es mehrere gute Gründe für seine Anwesenheit beim Bush-Besuch gibt: die Verantwortung für die Sicherheitslage angesichts möglicherweise unfriedlicher Demonstrationen gegen die amerikanische Politik; das historisch begründete besondere Verhältnis Berlins zu den USA; die unschöne Vorstellung, Bürgermeister Gregor Gysi (PDS, früher SED) könnte im Bundestag bei Bush „die Honneurs machen“; schließlich seine Rolle als Präsident des Verfassungsorgans Bundesrat.

Alles hat sich nun ganz anders entwickelt als gedacht. Die PDS demonstriert ihre Distanz zu Amerika. Gregor Gysi ist bei der Frauenministerkonferenz in Bremen. Dafür ist Wowereit doppelt präsent, im Tucher als Regierender, im Bundestag sitzt er bei der Bush-Rede als Bundesratspräsident ganz vorn in einer Reihe mit den Repräsentanten der anderen Verfassungsorgane: Bundespräsident Johannes Rau, Bundeskanzler Schröder, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Alle fünf werden von Bush in einem „Protokollraum“ des Bundestages mit einem Händedruck beehrt, bevor der Gast den Plenarsaal betritt. So steht es im Drehbuch für den minutiös geplanten Berlin-Auftritt Bushs. Am Donnerstagnachmittag reist Bush nach Moskau weiter. Und auch Wowereit greift dann lustvoll nach den gepackten Koffern. Abends fliegt er nach Australien. Brigitte Grunert

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false