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Berlin: Doppelter Einsatz

Sinan und Saithan haben für eine Postkartenaktion gegen Zwangsehe posiert. Danach gab es Anfeindungen

Von Sabine Beikler

„He, hallo, wie gehts?“ Mit Handschlag und Küsschen auf die Wange begrüßen sich Sinan und Saithan. Die beiden Schüler sind Freunde, sehen sich täglich im Mädchentreff Madonna im Neuköllner Rollbergviertel und werden langsam berühmt. Interviews, Fernsehteams – der Trubel ist ihnen ein bisschen viel. „Daran haben wir nicht gedacht, als wir bei dem Foto mitgemacht haben“, sagt Sinan. Das Foto ist eine Postkarte, die seit April bundesweit 20000 mal verteilt wurde. „Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen“ steht darauf – und Saithan und Sihan zeigen ihr Gesicht. Die Postkarten-Kampagne wurde nach so genannten Ehrenmorden gestartet. Für ihren Mut erhielten die beiden einen mit 5000 Euro dotierten Preis der „taz“.

In den Familien des 17-jährigen Sinan und des 16-jährigen Saithan gibt es keine Zwangsverheiratungen. „Da bin ich voll dagegen“, sagt Sinan und schaut dabei seine Freundin Özden an. Sinan geht ins Kreuzberger Oberstufenzentrum Handel und macht dort seinen Realschulabschluss. Seine Schwester ist 13. Darf sie alles tun, wird sie kontrolliert? „Sie muss das wissen, was sie tun darf oder nicht. Aber ist doch klar, dass sie in dem Alter noch nicht in die Disko gehen darf.“ Gegen einen Freund später würde die Mutter vielleicht nichts haben. Der Vater sehe das schon etwas anders. Wie weit die Schwester in einer späteren Beziehung gehen dürfe? „Das ist ihr Problem, wenn sie später einmal heiratet.“

Sinan sagt das Wort Jungfräulichlichkeit nicht, aber es ist klar, dass er das meint. Für seine Freundin ist es selbstverständlich, jungfräulich in die Ehe zu gehen. „Ich möchte das so. Das ist mir so anerzogen worden. Und ich habe damit auch kein Problem“, sagt die 19-jährige Kosmetikschülerin.

Der 16-jährige Saithan geht noch auf die Realschule, will dann aufs Gymnasium wechseln. Er hat drei jüngere Schwestern. Auch sie dürfen sich, sagt Saithan, ihre späteren Partner selbst aussuchen. „Mein Vater sagt, einen Menschen gegen den Willen zu verheiraten, ist das Schlimmste, was man machen kann“, erzählt Saithan.

Die beiden sind sehr vorsichtig, was und wie sie es sagen: Es hat schon Anfeindungen gegeben. „Manche Mitschüler sagten, wir würden mit der Postkarte unsere Schwestern verkaufen.“ Denn andere türkische oder arabische Mitschüler sagten, sie würden die eigenen Schwestern verprügeln, wenn sie mitkriegen, dass diese einen Freund haben. „Die sagen uns: Wenn ihr das durchgehen lasst und euch nicht einmischt, ist eure Schwester eine Schlampe.“ Saithan betont, dass er auf der Postkarte „für die gleichen Rechte für alle Mädchen kämpft“. Nicht nur für seine Schwester. Ganz freiwillig klingt das nicht.

Über den so genannten Ehrenmord an Hatun Sürücü möchten die beiden nicht sprechen. Ihre Familien hätten Angst um sie. „Natürlich sind wir gegen Ehrenmorde. Sonst hätten wir uns nicht fotografieren lassen“, sagen sie. Mehr auch nicht. Die Postkarten werden jetzt noch einmal nachgedruckt. Doch nur wenige Jugendtreffs schließen sich der Kampagne gegen Zwangsehen bisher an. „Und das wäre doch sehr wünschenswert“, sagt Gabi Heinemann, die Leiterin des Neuköllner Mädchentreffs. Das gilt nicht nur für Berlin.

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