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Berlin: Dr. Meiers Traumklinik

Jodie Foster hat hier eine Leiche identifiziert, und Matt Damon riss sich die Infusion aus den Adern. Ein Berliner Arzt hat ein altes Krankenhaus zur Filmkulisse umgebaut. Ein Setbesuch

Die Linie auf dem EKG stürzt nervös auf und ab. Hektisches Fiepen. Die Ärzte geben Jason Bourne, dem CIA-Auftragskiller, nicht mehr lang. Aber dann rappelt der Held sich doch wieder auf. Er reißt sich die Schläuche vom Körper, verbiegt den im Wege stehenden Infusionsständer und flüchtet durchs Fenster in die Freiheit.

Jason Bourne, das ist Matt Damon. Im Efeu-umrankten Oskar-Helene-Heim in Zehlendorf hat der amerikanische Schauspiel-Star die Szene für „The Bourne Supremacy“ gedreht. Bis 2001 war in diesem Gründerzeitbau eine orthopädische Klinik beheimatet, in der Patienten sich den Rücken einrenken oder Kreuzbänder zusammenflicken ließen. Heute gibt es hier keine Patienten mehr, die Klinik ist nach Teltow gezogen. Dafür hat jetzt die Produktionsfirma „Flatliner“ einen Mietvertrag für die 15 000 Quadratmeter.

Der Gründer von „Flatliner“ ist Jörg Meier. Sein Büro liegt in der ersten Etage des Altbaus, es ist ziemlich groß, eine Bar hat er auch hier. Der 41-Jährige mit den dunklen Locken sitzt lässig auf einem Sofa und trinkt Milchkaffee. Eigentlich hatte Meier Arzt werden wollen, aber dann entschied er sich anders. Während des Studiums hatte er eine Marktlücke entdeckt: Er jobbte als medizinischer Berater an Filmsets – und stellte fest, dass sein Know-how gefragt war. Requisiteure kannten sich auf dem Gebiet kaum aus, wussten nicht, wo man Beatmungsgeräte herbekommt oder günstige Arztkittel. Meier wusste das. Irgendwann kam dann die Idee, sein Wissen unternehmerisch zu nutzen. 2000, ein Jahr nach seinem Examen, gründete er also „Flatliner“. Der Name ist Programm, er steht für die Herzstillstandslinie auf dem EKG-Bildschirm – und einen ziemlich bekannten Hollywoodfilm.

Die Firma ist stark gewachsen, und deshalb ist nun auch Stefan Schröder dabei, Betriebswirt. Herz-OPs, Komafälle oder Vireninfektionen – die Flatliner geben Tipps, wie die Szenen authentisch ausfallen und besorgen die Requisiten: Nierenschalen, Spritzen, Infusionsgeräte, Röntgenbilder, es gibt fast nichts, das im übers ganze Haus verteilten Fundus nicht irgendwo herumliegt. Die Geräte sind von Herstellern, aber auch Filmproduktionen zusammengekauft. Aus dem Film-„Klinikum Berlin-Mitte“ und von „Schwester Stefanie“. „In der Branche erfährt man, wenn wieder mal eine Serie abgedreht ist“, sagt Meier. Dann greift er zu.

Seit die Firma 2003 ihren Sitz in die Klinik verlagert hat, können die Filmberater die perfekte Kulisse für jede Aufnahme bieten, ob Arztpraxis, Pathologie, Intensivstation, Standard-Zwei-Bett-Zimmer oder Labor. Und das ohne die üblichen Probleme mit Drehgenehmigungen in echten Krankenhäusern. In Berlin werden nur noch 20 Prozent der Klinikszenen auch wirklich in Kliniken gedreht. „Achtzig Prozent werden im Oskar-Helene-Heim produziert“, schätzt Meier, „hier ist ja auch alles echt.“ Naja, fast.

Die Pathologie ist „ausgedacht“. Die hat es in der orthopädischen Klinik nie gegeben. Weil so eine Totenkammer in der Filmwelt aber sehr gefragt ist, haben die Flatliner die Küche umgebaut. Meier geht vor, die Pathologie liegt im Keller, ein gelb gekachelter Raum mit kleinen Fenstern. In der Mitte stehen zwei Liegen aus Metall – die Liegeflächen verlaufen schräg. „So fließen die Körpersäfte besser ab“, sagt Meier. Auf einem Tablett: Säge, Rohr, Zange, was man so braucht, um Leichen zu sezieren, an der Wand Röntgenbilder. Den schwarzweißen Kopfschuss hat ein Kollege am Computer zusammengebastelt. Der Leichen-Kühlschrank in der Ecke ist für Schauspieler Luxus. „Hier müssen sie nicht neben echten Toten liegen“, sagt Jörg Meier. Sei bei Dreharbeiten in Leichenschauhäusern durchaus üblich.

Flatliner versorgt mittlerweile rund 150 Produktionen im Jahr, Kinofilme, Fernsehserien und Werbespots. Meier und Schröder arbeiten mit Produktionsfirmen wie X-Film („Good bye, Lenin“) Grundy Ufa („GZSZ“) oder Moovie-Entertainment („Bewegte Männer“) zusammen. In „Alles auf Zucker“ lag Henry Hübchen als Jaecki Zucker zwar ausnahmsweise in der Charité – aber an einem „Flatliner“-EKG . Und auf der Referenzliste stehen nicht nur deutsche Produktionen: Sogar Hollywood kommt nach Zehlendorf.

Im letzten Jahr war Jodie Foster da. Sie musste für ihren Film „Flightplan“, der gerade angelaufen ist, in der einstigen Klinik-Küche ihren toten Mann identifizieren. Für „V for Vendetta“ mit Natalie Portmann hat das Team in diesem Frühjahr vom einzigen europäischen Hersteller ein Infektionszelt besorgt. Es steht im OP. Unbenutzt. Das Plastik war den Kameraleuten zu undurchsichtig. Aber Meier ist sicher, dass das Ding irgendwann vor die Kamera kommt.

Jörg Meier könnte auch blind durch die Gänge der ehemaligen Klinik gehen, die Tour führt an Wartezimmern mit Gummibäumen aus Plastik vorbei und an Depots mit Rollstühlen, Betten und Nachttischen. In einem kleinen Zimmer steht ein blauer Kasten mit Griff. Eine Babyklappe. Durch eine Schleuse geht es zur Intensivstation, grüne Kittel und Gummischuhe am Eingang. EKG, Beatmungsgerät, Dialyse – vieles ist echt, vieles teuer. Eine Infusion hängt an einem Ständer. Hier hat die Mutter in „Good bye, Lenin“ zwischen Diesseits und Jenseits geschwebt, als plötzlich die Wende kam. Im Film-Labor lagern jede Menge Reagenzgläser, schwabbelige Präparate in Wasser, bunte Lösungen. Alles bereit für In-vitro-Befruchtungen oder die zurzeit so sehr beliebten Vaterschaftstests.

Könnte der Filmberater selbst entscheiden und nicht der Regisseur, würden die in Zehlendorf gedrehten Szenen als Gesundheitsratgeber durchgehen – so authentisch würde er die Geschichten umsetzen. Echtheit vor Drama. In der Filmwelt ist das aber genau andersrum. Vor die Kamera kommt, was spannend ist. Korrektheit spielt oft eine untergeordnete Rolle, sagt Meier. So wird im Film schon mal ein Vater „aus dem Dschungel“ eingeflogen, der seiner Tochter Blut spenden soll. Für den Spannungsbogen. Medizinisch gesehen sind Spenden von Fremden viel sinnvoller als die von Verwandten. „Wegen der Inzestgefahr“, sagt Meier. In welchen Filmen er die medizinische Wirklichkeit verdreht hat, will er nicht verraten. Seine Kunden könnten ihm das übel nehmen.

Der Filmarzt hat sich einige Tricks einfallen lassen, um das Auge des Zuschauers zu täuschen: eine Spritze, die vorgaukelt, eine Flüssigkeit in die Blutbahnen zu schießen, eine Haut zum Überziehen, die man täuschend echt aufschneiden kann, pulsierende Herzen, an denen vor der Kamera operiert wird. Er liefert die Idee und das Wissen über die medizinischen Abläufe, die Maskenbildner setzen um. Zur Recherche wälzt Meier nicht selten Berge von Literatur, gräbt Fotodokumente aus oder fragt bei Ärzten und Professoren um Rat, zum Beispiel, wenn ein Regisseur nach einer Krankheit sucht, die in seine Geschichte passt, die logisch erklärt, warum der Hauptdarsteller schlagartig zusammenbricht.

Ein Höhepunkt seiner Arbeit war ganz klar Matt Damon am EKG, sagt Meier. Den verbogenen Infusionsständer hat er aufgehoben. Die Flucht aus dem Oskar-Helene-Heim wurde aus dem Film leider rausgeschnitten.

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