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Drama in Weißensee: Brüder der toten Zoe offenbar misshandelt

Im Fall des toten Mädchens findet die Polizei immer mehr Hinweise – auch ihre Geschwister hatten Blutergüsse am Körper.

Von Sandra Dassler

Es gab angeblich keine Hinweise auf Gewalt – und doch muss sie stattgefunden haben: Im Fall des toten Mädchens von Weißensee kommen immer mehr Details ans Tageslicht. So fanden sich auch bei seinen beiden Brüdern Hämatome und andere Verletzungen, die von Schlägen oder anderen Misshandlungen stammen könnten.

Außerdem soll es nach Tagesspiegel-Informationen in jüngster Vergangenheit keine regelmäßigen Besuche der vom Jugendamt bestellten Betreuer in der Familie gegeben haben. Am Montag dieser Woche war eine Familienhelferin erstmals nach mehreren Tagen wieder in der Wohnung. Sie hatte bemerkt, dass das knapp dreijährige Mädchen krank war, sich aber auf die Versicherung der Mutter verlassen, zum Arzt zu gehen. „Es gab keinen Hinweis, dass die Mutter dies nicht tun würde“, sagt die Pankower Jugendstadträtin Christine Keil (Linke). „Sie ist ja sogar mit den anderen Kindern losgelaufen.“

Die 25-jährige Mutter erzählte später, es sei beim Arzt „so voll“ gewesen, dass sie nicht warten wollte – doch niemand weiß, ob sie wirklich die Absicht hatte, das kleine Mädchen dem Arzt vorzustellen. Dieser hätte ja höchstwahrscheinlich auch die Hämatome des Kindes bemerkt.

Musste das fast dreijährige Mädchen deshalb sterben? Wie berichtet, hatte ein durch äußere Gewalteinwirkung verursachter Darmriss eine tödliche Bauchfellentzündung ausgelöst. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Mutter und ihren 24-jährigen Lebensgefährten wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Eine vorsätzliche Tötung schließen die Ermittler, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft, aber nach wie vor aus – die beiden Verdächtigen sind nicht in Untersuchungshaft.

Die Geschwister des toten Mädchens im Alter zwischen zwei Monaten und vier Jahren werden laut Mitteilung des Jugendamtes Pankow „außerhalb der Familie medizinisch, psychologisch und sozialarbeiterisch“ betreut. Am Donnerstag hatte das Jugendamt mit dem für die Familie zuständigen Sozialarbeiter und den Familienhelfern eines freien Trägers den Fall ausgewertet und bleibt dabei: Es gab keine Hinweise auf Gewalt.

Berichte über unregelmäßige Hausbesuche der Betreuer weist Jugendstadträtin Keil ebenso zurück wie die Informationen über Verletzungen der Kinder: „Alle, die sich jetzt melden, weil sie angeblich Wunden oder Anzeichen für Vernachlässigungen bemerkt haben, müssen sich fragen lassen, warum sie dann nichts unternommen haben“, sagt Keil. Anders als jetzt berichtet wird, habe es auch keine Hinweise aus dem Familienumfeld gegeben. „Beim Jugendamt ist jedenfalls kein einziger solcher Hinweis eingegangen.“

Noch am vergangenen Donnerstag habe sich die Familie mit allen Kindern im Jugendamt vorgestellt, „um über die Fortführung der Hilfen zu beraten“. Auch da habe niemand etwas Auffälliges an den Kindern bemerkt, sagt Keil.

Doch das muss nichts heißen. Immer wieder staunen Polizisten, die misshandelte oder vernachlässigte Kinder aus Familien holen, dass die vom Jugendamt eingesetzten Betreuer die Situation ganz anders einschätzten. „Im Mittelpunkt der Sozialpädagogen steht eben nicht die Strafverfolgung, sondern das Kindeswohl“, sagt Hans-Joachim Blume, der als Dezernatsleiter beim Landeskriminalamt unter anderem für den Kinderschutz zuständig ist: „Sie wollen die Familien in sich stützen, die Mütter zur Selbsthilfe befähigen – aber manchmal können die das gar nicht leisten. Kinder zu schlagen zeugt ja oft auch von Hilflosigkeit oder Überforderung.“

Trotzdem sei die individuelle Familienhilfe unverzichtbar, sagt Blume: „Es muss Institutionen außerhalb der Polizei geben – sehr bewährt hat sich da auch der Kindernotruf, den viele nutzen.“ Das ist auch notwendig in einer Stadt, in der jedes dritte Kind in Armut lebt. Da ist es fast schon ein kleines Wunder, dass die Zahl der Misshandlungen und Vernachlässigungen von Kindern mit etwa 1300 bis 1400 Fällen pro Jahr seit längerem relativ stabil ist. Freilich sei die Dunkelziffer sehr viel höher, sagt Blume. „Noch immer scheuen sich viele, einen Hinweis zu geben, weil sie Freunde oder Nachbarn nicht kriminalisieren wollen.“

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