zum Hauptinhalt
Nichts geht mehr: Spielplätze sind marode - und das ist bei weitem nicht das einzige Problem für die klammen Bezirke in Berlin.

© imago/Olaf Wagner

Dramatische Engpässe: Bezirke in Berlin: Marode an allen Ecken und Enden

Immer weniger Personal, immer mehr Aufgaben: Alle zwölf Bürgermeister der Bezirke warnen vor gravierenden Folgen. Verärgert sind sie vor allem über Ulrich Nußbaum - denn eine bestimmte Aussage des Senators kommt bei ihnen überhaupt nicht gut an.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Personalabbau in den Bezirken hat überall weitreichende Folgen. Das ergab eine Umfrage des Tagesspiegels bei allen Bezirksbürgermeistern. Vor einem Monat hatten sie wie berichtet eigene Vorschläge beschlossen, um die Lage in den kommunalen Behörden und Einrichtungen zu verbessern. Jetzt warten sie darauf, dass der Senat Stellung nimmt – bisher vergeblich. Nur Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) reagierte auf das Konzept. Er forderte die Bezirke auf, „effektiver zu arbeiten“. Das kam bei den Betroffenen nicht gut an.

„Herr Nußbaum kennt nicht alle Aufgaben der Bezirke“, kommentierte der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Sein Amtskollege Andreas Geisel aus Lichtenberg (SPD) sprach von einem „Machospruch weit unter Nußbaums Niveau“ und der Reinickendorfer Bürgermeister Frank Balzer (CDU) erinnerte daran, dass die Bezirke seit mehr als 15 Jahren einem „permanenten Rationalisierungsdruck“ ausgesetzt seien. Mehrere Bürgermeister verwiesen darauf, dass die Bezirke seit Jahren an ihrer Effizienz arbeiten. Der vom Senat verordnete Stellenabbau bewirke das Gegenteil und führe zu Kostensteigerungen an anderer Stelle und sinkender Qualität der bezirklichen Dienstleistungen. Die Bürgermeister schildern konkrete Auswirkungen anhand von Beispielen. Hier eine Auswahl, Bezirk für Bezirk:

Marzahn-Hellersdorf

Baumaßnahmen verzögern sich, weil Bauplaner und -betreuer fehlen. Lange Wartezeiten gibt es in den Bürgerämtern, neue Stellen werden zu langsam besetzt, weil auch die Personalabteilung unterbesetzt ist. Die Krankenquote hat sich innerhalb von zwei Jahren auf 10 Prozent verdoppelt. Elf Jugendfreizeitheime wurden an private Träger übertragen, alle Stellen für Sportplatzwarte wurden gestrichen und diese Aufgabe an Private vergeben.

Spandau

Bei den Hilfen zur Erziehung werden im Zweifel höhere Sätze genehmigt, weil die Mitarbeiter nicht genug Zeit für die Prüfung haben. Beim Gebäudemanagement fehlen Architekten und Ingenieure, deshalb müssen private Planungsleistungen und Bauleitungen teuer eingekauft werden. 2014 kostet das 4,5 Millionen Euro, die Verwaltung käme mit eigenem Personal mit 1,5 Millionen Euro aus. Viele Mitarbeiter stünden kurz vor dem Burn-out.

Pankow

Probleme gibt es in allen Ämtern. Einrichtungen wurden in letzter Zeit nicht geschlossen, es gebe ja auch nicht mehr viele. Wer Bau- oder Sozialanträge stellt, muss mit langen Wartezeiten rechnen. Der Zustand von Spiel- und Grünanlagen, einschließlich des Grüns an den Straßen, sei ein „Spiegel der Personalausstattung“. Beschwerden nähmen zu.

Charlottenburg-Wilmersdorf

Engpässe gibt es nicht nur bei den Bürgerämtern und dem Ordnungsamt, sondern auch im bezirklichen Gesundheitswesen. So kommt es beim Zahnärztlichen Dienst, dem Sozialpsychiatrischen Dienst und der Beratungsstelle für Behinderte immer öfter zu langen Wartezeiten. Ähnliches gilt für Grundsicherung, Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfen. Sprechstunden werden eingeschränkt, die Elterngeldstelle musste ein halbes Jahr schließen.

Tempelhof-Schöneberg

In fast allen Bereichen der Bezirksverwaltung gibt es verringerte Leistungen, längere Wartezeiten und Qualitätseinbußen. Das Finanzbudget für 2015 wird weitere Einschränkungen bringen. Wo, steht noch nicht fest.

Mitte

Im Sozial-, Jugend- und Gesundheitsamt wurden Stellen abgebaut. Personalnöte beim Straßen- und Grünflächenamt führten zu einer Verwahrlosung des öffentlichen Raumes, die Fremdvergabe an Private sei möglich, aber unwirtschaftlich. Mit eigenem Personal in den Tief- und Hochbauämtern könnte preiswerter und störungsfreier gebaut werden. Die Vergabe von Aufgaben an freie Träger und an Unternehmen im Sozial- und Jugendhilfebereich sei ebenfalls teuer.

Lesen Sie auf der nächsten Seite wie es in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Reinickendorf und Lichtenberg aussieht.

Reinickendorf

Schon nach Minuten sind in den Bürgerämtern alle Wartemarken für den Tag vergeben. Auf einen Termin muss wochenlang gewartet werden. Bei den Musikschulen gibt es lange Wartelisten, Baugenehmigungen dauern länger, die Transferausgaben für Jugend- und Sozialhilfen steigen, denn Beratung und Kontrolle bleiben auf der Strecke.

Neukölln

In allen Ämtern, die Publikumsverkehr haben oder Anträge bearbeiten, verursacht das fehlende Personal große Nöte. Dazu gehören Bürgerämter, das Wohnungsamt (Zweckentfremdungsverbot und Wohngeld), das Jugendamt (Erziehungs- und Elterngeld, Unterhaltsvorschuss), das Gebäudemanagement und das Schulamt (Schulhausmeister).

Steglitz-Zehlendorf

Auch hier sind Bürger- und Jugendämter betroffen. Im Öffentlichen Gesundheitsdienst gibt es große Nachwuchsprobleme, auch weil Ärzte in Kliniken und beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen besser verdienen als im Bezirk. Die schlechtere Bezahlung, auch im Vergleich zum Bund und dem Nachbarland Brandenburg, sei ein generelles Problem. Die künftige Schließung bezirklicher Einrichtungen wird nicht ausgeschlossen.

Lichtenberg

Auch hier lange Warte- und Bearbeitungszeiten in den Bürgerämtern, beim Wohngeld und im Jugendbereich. In der Kitagutscheinstelle gibt es nicht mehr acht, sondern nur noch fünf Mitarbeiter, von denen zwei langzeiterkrankt seien. Die Zahl der Bearbeitungsfälle hat sich gleichzeitig wegen mehr Geburten und Zuzügen fast verdoppelt. Die Pflege der Grünanlagen wurde reduziert. Die Überalterung der Verwaltung und die Arbeitsverdichtung ließen die Krankenquote auf 10 Prozent steigen.

Treptow-Köpenick

Alle Bereiche sind unterbesetzt. So gibt es nur noch zwei Bürgerämter. Die Kitagutscheinstelle und die Gewerbeanmeldung beim Ordnungsamt wurden wochenlang geschlossen, um Antragsstapel abzuarbeiten. Die Bauherrenberatung im Stadtentwicklungsamt wurde zeitweise eingestellt. Bauanträge für Gewerbe sind auch betroffen, und in den Grünanlagen wird oft nur noch ein oder zwei Mal pro Jahr gemäht. Für die Beauftragung privater Firmen fehlt das Geld.

Friedrichshain-Kreuzberg

Akut problematisch sind die zeitweise Schließung der Elterngeldstelle und des Bürgeramts Schlesische Straße. Eine Bezirksbibliothek ist von der Schließung bedroht, und wer Parkplaketten beantragt, muss lange warten.

Die Bezirksbürgermeister sind sich einig: In allen Bezirken steigt der Bedarf an kommunalen Dienstleistungen, weil Berlins Bevölkerung stark wächst. Gleichzeitig soll nach den Vorgaben des Senats die Zahl der Vollzeitstellen bis 2016 auf 20 000 sinken. Das öffentliche Personal ist überaltert, der Durchschnitt liegt bei mehr als 50 Jahren, der Krankenstand ist hoch. In Pankow beispielsweise scheiden bis 2019 rund 30 Prozent der Mitarbeiter altersbedingt aus. In Mitte sind es 26 Prozent. Im Personalkonzept, das der Rat der Bürgermeister im Juli einstimmig beschloss, wird auf den „sprunghaft ansteigenden Nachbesetzungsbedarf“ ausdrücklich hingewiesen.

Die Bezirke fordern nicht pauschal mehr Stellen, sondern nur die Erlaubnis des Senats, „die Höhe der wirtschaftlich zu beschäftigenden Mitarbeiterzahlen eigenständig festzulegen“. Die politisch festgelegte Deckelung auf 20.000 Stellen müsse aufgehoben werden. Es müsse mehr Ausbildungsplätze geben und die Bezirke sollten Nachwuchsbeamte in eigener Verantwortung einstellen können, fordern die Bürgermeister. Die Aus- und Fortbildung müsse forciert und der „Wissenstransfer“ von den ausscheidenden Mitarbeitern zu den Nachwuchskräften sichergestellt werden. Notwendig seien auch flexible Arbeitszeitmodelle.

Unterstützung erhoffen sich die Bürgermeister von den Koalitionsfraktionen SPD und CDU. Matthias Köhne (SPD), Bürgermeister des am schnellsten wachsenden Bezirks Pankow, hält dem Finanzsenator Nußbaum vor: „Wer in der Wirtschaft bei steigender Nachfrage das Angebot verknappt, würgt das Wachstum ab. Die Stadt lebt aber von diesem Wachstum und darf den Ast, auf dem sie sitzt, nicht selbst absägen.“

Brauchen die Bezirke mehr Personal? Lesen Sie hier einen Kommentar von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt.

Zur Startseite