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Drehort Berlin: Die zwei von der Badestelle

Leander Haußmann und Sven Regener blocken das Seebad Friedrichshagen, ohne schwimmen zu gehen. Sie drehen dort „Hai-Alarm am Müggelsee“ - ein „Schelmenstück über deutsches Beamtentum, Tierliebe und Städtemarketing“

Was ist grün, aus Metall und dümpelt auf dem Müggelsee? Eine Büchse Schauspieler. Gut durchgegart und nach Luft schnappend quellen sie hervor, sobald der Aufnahmeleiter den Deckel oder besser die Kajütentür des am Bootssteg liegenden Kahns öffnet. Benno Fürmann im weißen Anzug mit aasig nach hinten gegeltem Haar. Henry Hübchen in Schlips und Kragen, die Zigarette sofort in der Hand. Tom Schilling in Basecap und Outdoor-Look, nebst einem Haufen anderer. Schnellen Schrittes machen sie sich in Richtung Festland davon. Künstler auf der Flucht vor der Enge am Set oder Menschen auf der Flucht vor dem Hai? Beides ist derzeit im Seebad Friedrichshagen möglich, wo Regisseur Leander Haußmann mit Romanautor und Element-of-Crime-Sänger Sven Regener seit einer guten Woche die Klamotte „Hai-Alarm am Müggelsee“ dreht.

Der auf der glitzernden Wasserfläche arg klein aussehende, rostige Seelenverkäufer soll das Motiv „Hausboot“ sein. Im Film die Heimstatt des Haijägers Snake Müller, gespielt vom blondierten Uwe Dag Berlin. Müller hat Hawaii, angewidert von seinem blutigen Gewerbe, den Rücken gedreht und im beschaulichen Friedrichshagen Anker geworfen, um seinem affigen Hobby Surfpaddeln zu frönen. Doch bald schon fehlt einem Bademeister die Hand, Friedrichshagen fürchtet Hai-Angriffe, Wutbürger schlagen Alarm und die örtlichen Honoratioren tun das, was Kommunalpolitiker eben so tun: weitermachen als sei nichts geschehen. Ein „Schelmenstück über deutsches Beamtentum, Tierliebe und Städtemarketing“ nennen Haußmann und Regener ihre selbst geschriebene, inszenierte, zusammen mit X-Filme produzierte und in den Nebenrollen von Punker bis Polizist auch selbst gespielte Posse.

Es laufe gut am Set, erzählt der Aufnahmeleiter. „Natürlich hängen wir zeitlich etwas.“ Etwa jetzt, wo die Schauspieler zur Mittagspause gestürmt sind, obwohl noch gar keine ist. Die mit Walkie-Talkies vernetzte Crew fängt sie wieder ein. Nach und nach trotten Hübchen, Fürmann, Schilling, Berlin und die anderen wieder aufs Schiff. Die Maske pudert hier und da, die Beleuchter richten noch mal ihre auf einem Floß postierten Lampen ein, der Tonmann auf dem mit Lichtkoffern, Stühlen und Requisitenbeuteln verstellten Steg macht sich bereit, Regisseur Regener hockt am Monitor daneben, Kamerafrau Jana Marsik und Regisseur Haußmann quetschen sich mit in die Kajüte. „Ruhe bitte, wir drehen“, ruft der Aufnahmeleiter und mustert strafend die zwei quietschenden Surferinnen draußen auf dem See. Die Wellen schmatzen am Steg, die Sonne brennt, ein paar Enten paddeln müde vorbei, von drinnen ist erst lange nichts, dann Haußmanns Ruf „Cut“ zu hören. „Der Snake sitzt falsch“, mischt sich Regener von draußen ein. Und mit der Weinflasche auf dem Tisch stimmt auch irgendwas nicht. „Sven lässt fragen, ob die Weinflasche da stehen muss“, brüllt der Aufnahmeleiter in die Kajütentür. Drinnen dröhnt Ratlosigkeit. „Welche Flasche?“ brüllt Haußmann raus. Regener trägt einen speckigen pinken Sonnenhut, tappst genervt aufs Deck und erklärt, was er auf dem Monitor gesehen hat. „Die Scheiß-Weinflasche lenkt von der Fischdose ab.“ Ach so, diese Flasche – Haußmann hat’s kapiert. Bisschen Umgeräume, dann wird die Einstellung wiederholt. Zwei Takes später geht wieder die Luke auf und die Schauspieler drängen ans Sonnenlicht. Hübchen ist ganz schön genervt vom Motiv. Der Kahn sei doch nichts, quengelt er. „Zu niedrig, zu eng.“ Na klar, flachst Haußmann. „Wir schmeißen das ganze Material weg und holen ein neues Schiff.“ Regener schreitet ein und zerrt ihn beiseite: „Sag mal, wo genau sind wir jetzt?“ Klamauk drehen ist offensichtlich ein ebenso ernstes wie verwirrendes Geschäft.

Bevor ein Gespräch mit den schon seit Haußmanns Verfilmung von Regeners Bestseller „Herr Lehmann“ im Jahr 2003 verbandelten Herren knapp über 50 möglich ist, müssen die erst mal schnell am Cateringwagen „Tagliatelle alla puttanesca“ fassen. „Sonst habe ich ganz schlechte Laune“, sagt Haußmann, der in seiner Heimat Friedrichshagen in letzter Zeit selbst als Wutbürger, äh, Flugrouten-Gegner von sich reden macht. Mit gefülltem Bauch spielen sie sich dann bramarbasierend die Pointen zu wie weiland Waldorf und Statler in der Muppet-Show. Meine Güte, können die über ihr zukünftiges cineastisches Meisterwerk schwadronieren! Das werde einer der lustigsten Filme der nächsten Zeiten, sagt Haußmann und doziert über das für diese Gelegenheit neu erfundene Genre „Alarmfilm“. Der sei sowohl Heimat- als auch Katastrophenfilm. Und Regener ergänzt: „Wir haben eine Liebe zum Alarm. Genauso wie die Berliner.“ Und weil ein neues Genre immer Filmgeschichte schreibe, wollten auch Schauspieler wie Fürmann, Hübchen oder Michael Gwisdek dabei sein. Die beiden Letzteren verzichten dafür extra auf ihre Hollywood-Gagen und produzieren den laut Haußmann mit einem Budget von weniger als zwei Millionen Euro ausgestatteten Kinofilm mit.

Und wie macht sich der Regie-Frischling Regener so? Gut, findet der einstige Theaterintendant Haußmann. „Erfahrung ist überschätzt, die bringt oft nichts als Angst.“ Auch Regener selbst ist mit sich zufrieden. „Die gute Absicht zählt, auch wenn ich immer noch nicht weiß, was das hier wird.“

Na, da hat er ja was mit den Kinozuschauern gemein. Die werden erst im März 2013 aufgeklärt. An diesem Nachmittag zumindest tauchen keine Haiflossen im Müggelsee auf. Nur weiße Segel ziehen friedlich unter Schäfchenwolken.

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