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Drehort Berlin: Große Kulisse

Viele Filme der Berlinale sind in Berlin entstanden. Zu sehen ist eine erstaunlich wandlungsfähige Stadt.

Ein herrlicher Tag für eine Spritztour ins Grüne. Hochsommer, Sonntagsstimmung, Ferienlaune, und die Sonne strahlt mit sich selbst um die Wette. Unternehmungslustig sind Hildegard Knef und ihr Freund David Cameron, den sie im Jahr darauf heiraten wird, über Wannsee nach Westen gefahren, wollen nach Potsdam und weiter. Aber heute geht es nicht weiter. Sie kommen nur bis zur Glienicker Brücke: gesperrt. Es ist der 13. August 1961.

Für Berlin über Jahrzehnte ein traumatisches Datum, das nun auch ins Leben der von Heike Makatsch gespielten Titelheldin in „Hilde“ eingreift. Kai Wessels Filmbiografie, zu sehen auf der Berlinale, kann noch mit weiteren emotionsgeladenen Orten des alten West-Berlin aufwarten, wie Mark Nolting, bei „Hilde“ als Produktionsleiter dabei, berichtet: In der Philharmonie wurde ausgiebig gedreht, Schillertheater und Delphi-Kino huschen durchs Bild, und die Ankunft des Stars in einer PanAm-Maschine wurde korrekt auf dem Flughafen Tempelhof gefilmt. Landungen sind dort nicht mehr möglich, doch gibt es den am Columbiadamm geparkten Rosinenbomber vom Typ C-54, im Besitz eines US-Luftwaffenmuseums, vom hiesigen Technikmuseum betreut und rasch mit einigen Aufklebern entmilitarisiert. Bereits in der „Bubi Scholz-Story“ war die Maschine aufgetaucht, dann im TV-Drama „Die Luftbrücke“, und nun eben bei „Hilde“.

Die an diesem Donnerstag (5. Februar) startende Berlinale bietet den mit dieser Stadt und ihrer Umgebung vertrauten Zuschauern zahlreiche Déjà-vu-Erlebnisse – und spiegelt so zugleich den Erfolg der Filmregion Berlin-Brandenburg wider (siehe nebenstehenden Beitrag). Die hiesigen Produktionsfirmen sind auch mit internationaler Kundschaft mehr und mehr vertraut, werden hinterher überschwänglich gelobt, und die öffentliche Filmförderung ist auch nicht ohne. Zudem scheint das Drehort-Potenzial unerschöpflich, bietet Historisches, Modernes, Mythisches in gleicher Weise, und was es hier noch nicht gibt, wird eben gebaut.

Zum Beispiel die berühmte Rotunde des Guggenheim-Museums in New York. Es ist das Motiv des Hauptplakats von Tom Tykwers „The International“, dem Eröffnungsfilm des Festivals. Man sieht Clive Owen und Naomi Watts in Aktion, er wild aus einer Maschinenpistole feuernd. Im Original in Manhattan wäre das nicht mal mit Platzpatronen erlaubt, und so hatten die Kulissenbauer von Studio Babelsberg Frank Lloyd Wrights Museumsfoyer eben im Maßstab 1 : 1 nachgebaut, in dem ehemaligen, zum Filmstudio umfunktionierten Ringlokschuppen an der Wetzlarer Straße in Potsdam. Auch andere Schauplätze werden den Zuschauern bekannt vorkommen, wurden aber an den realen Orten gedreht, am Hauptbahnhof, im Sony-Center oder auch am alten Gewerkschaftshaus am Erkelenzdamm in Kreuzberg, wie Markus Bench, Production Executive Location bei Studio Babelsberg, berichtet.

Mit „Der Vorleser“, Stephen Daldreys Verfilmung des Romans von Bernhard Schlink, war er ebenfalls befasst. Gleich die erste Szene führt ins Berlin des Jahres 1995, gedreht wurde in einer Wohnung in der Wilmersdorfer Straße, mit Blick nach draußen. Weitere Straßenszenen zeigen die Schönhauser Allee mit der Hochbahn, die Französische Straße, die Frankfurter Allee und die Oranienstraße in Kreuzberg, die eine Schöneberger Straße in den Achtzigern darstellen soll. Die in einer westdeutschen Provinzstadt in den fünfziger Jahren spielenden Szenen entstanden weitgehend in Görlitz, einige auch in Berlin, so im Straßenbahndepot in der Dietzgenstraße in Niederschönhausen und im Freibad Plötzensee. Um das Studentenleben des von David Kross gespielten Vorlesers zu filmen, ging man ins Studentenwohnheim Schlachtensee, die Gerichtsszenen mit Kate Winslet als ehemaliger KZ-Wächterin entstanden im Kammergericht am Kleistpark – historisch gesehen eine Ortswahl von besonderer Logik: In dem Gebäude tagte nach dem 20. Juli 1944 der Volksgerichtshof. Für das Büro der Gefängnisdirektorin fand man einen geeigneten Raum im ehemaligen Frauengefängnis, das 1985 geschlossen wurde und seither im Hinterhof der Kantstraße 79 im nur kurz gestörten Dornröschenschlaf liegt.

In Hermine Huntgeburths „Effi Briest“, mit Julia Jentsch in der Titelrolle, kommt dagegen das Berlin der Hohenzollern groß raus, Unter den Linden mit der Humboldt-Universität beispielsweise, oder Riehmers Hofgarten an der Kreuzberger Yorckstraße, der, aus immer neuen Perspektiven gefilmt, den Eindruck eines weitläufigen Stadtviertels erweckt, obwohl es doch ein recht verwinkelter, allerdings prachtvoller Hinterhof ist. Als Herrenhaus der Familie Briest diente Schloss Hoppenrade, rund 50 Kilometer nördlich von Berlin.

Bei Bedarf vermögen Berlin und Brandenburg sogar ohne Weiteres die heutige Slowakei im späten 16. Jahrhundert darzustellen. Julie Delpy spielt in „The Countess“ unter eigener Regie die als Serienmörderin berüchtigte ungarische Gräfin Erzébet Báthory, gedreht wurde beispielsweise im Kreuzgang der Potsdamer Friedenskirche, in der mittelalterlichen Dorfkirche von Pechüle (bei Treuenbrietzen), vor der Kirche von Busendorf (bei Beelitz) – und in Clärchens Ballhaus in Berlin-Mitte.

Auch in Dokumentarfilmen taucht die Stadt der Berlinale wiederholt auf, so in „Die wunderbare Welt der Waschkraft“ von Hans-Christian Schmid, der dem Pendelverkehr zwischen Berliner Nobelhotels und einer Großwäscherei in einer polnischen Kleinstadt nachforschte: Schmutzige Wäsche hin, saubere zurück. Oder in der Langzeit-Kiezdokumentation „Berlin – Ecke Bundesplatz“ von Hans Georg Ullrich und Detlef Gumm, der Metropolen-Doku „In Berlin“ von Michael Ballhaus und Ciro Cappellari oder dem Beitrag „Achterbahn“ von Peter Dörfler über den Schausteller Norbert Witte und seinen Weg vom Gondelkönig im Plänterwald zum Drogenschmuggler in Peru.

Vielleicht entsteht sogar parallel zum aktuellen Festival schon einer der zentralen Filme des nächsten. An diesem Mittwoch (4. Februar) fällt die Klappe für „The Ghost“, den neuen Film von Roman Polanski, mit Pierce Brosnan, Ewan McGregor, Olivia Williams und Kim Cattrall in den Hauptrollen. Gedreht wird vor allem in Studio Babelsberg und Berlin, für die Kinoadaption eines Thrillers von Robert Harris muss die Spree-Metropole diesmal eine amerikanische Großstadt darstellen. Kein Problem.

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