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Berlin: Drei Bärte für Pankow

In der DDR kämpften sie gemeinsam, jetzt gegeneinander: Günter Nooke, Werner Schulz und Wolfgang Thierse treten im Wahlkreis 77 an

Von Sabine Beikler

Aus den Zeiten der DDR-Bürgerrechtsbewegung haben sich die drei Kandidaten nur ein Markenzeichen bewahrt: den Bart. Rötlich schimmert das Gesichtshaar bei Wolfgang Thierse (SPD), Günter Nooke (CDU) trägt schwarzen Vollbart, der bündnisgrüne Werner Schulz begnügt sich mit einem Dreitagebart, leicht angegraut.

Ein heißer Nachmittag in Berlin, die Luft ist drückend. Fußgänger schleppen sich lustlos voran, aus der U-Bahnstation Pankow treten alle zehn Minuten ein paar Fahrgäste geblendet ins Tageslicht. Der Kandidat steht vor dem Eingang am Garbáty-Platz und hat die Ärmel seines blauen Hemds hochgekrempelt. „Guten Tag, darf ich Ihnen was von der SPD mitgeben? Mein ist Wolfgang Thierse.“ Unermüdlich verteilt der SPD-Direktkandidat im Wahlkreis Pankow-Weißensee-Prenzlauer Berg Faltblätter: Vorne lächelt Wolfgang Thierse, auf der Rückseite der Kanzler. „Erneuerung und Zusammenhalt“ steht über dem Konterfei von Gerhard Schröder. Ein junger Mann schaut sich das Foto skeptisch an: „Es fällt mir echt schwer, SPD zu wählen.“ Thierse antwortet: „Dann wählen Sie mich. Ich kandidiere hier.“

Mehrmals in der Woche ist der Bundestagspräsident auf Wahlkampftour – und trifft regelmäßig zwei alte Bekannte: Günter Nooke und Werner Schulz. Im Berliner Nordosten konkurrieren der Sozialdemokrat, der Christdemokrat und der Bündnisgrüne um das Direktmandat. Alle drei ehemalige „Bürgerrechtler“, die einmal angetreten waren für das Gute, für eine solidarische Gesellschaft, für Gerechtigkeit und Demokratie. Zwölf Jahre liegt das zurück. Und dass sich die Zeiten geändert haben, sieht man an ihren Bärten: gestutzt, gezähmt, gebürstet.

Der kurze, gemeinsame Weg der Drei teilt sich bereits in den Wendetagen: Nach einem kurzen Intermezzo in der Bürgerbewegung „Neues Forum“ trat der Kulturwissenschaftler Wolfgang Thierse 1990 in die neu gegründete Ost-SPD ein und wurde im selben Jahr in den Bundestag gewählt. 1994 kam er als Spitzenkandidat der Berliner SPD wieder ins Parlament: Das Direktmandat verlor Thierse in Mitte gegen den PDS-Kandidaten Stefan Heym. Vier Jahre später fehlte ihm in Mitte wieder die Mehrheit. Diesmal hauchdünn: Nur 283 Stimmen lagen zwischen seiner Niederlage und dem Sieg der PDS-Kandidatin Petra Pau. Sein Rettungsanker war Listenplatz eins, der dem 58-Jährigen den Wiedereinzug in den Bundestag sicherte.

Grünen-Kontrahent Werner Schulz zog 1990 in den Bundestag. Bis 1994 führte der 52-Jährige die Gruppe der Bündnis-90-Abgeordneten – die West-Grünen waren aus dem Parlament geflogen. Vier weitere Jahre arbeitete er nach dem Wiedereinzug 1994 als Parlamentarischer Geschäftsführer. Schulz zog 1998 im Kampf um den Fraktionsvorsitz gegen Rezzo Schlauch den kürzeren. „Das hat weh getan“, sagt Schulz heute. Die Fraktion ernannte ihn zum wirtschaftspolitischen Sprecher. Die Politik machten andere.

Überraschend gewann Werner Schulz Anfang des Jahres den Kampf um den zweiten Listenplatz gegen Andrea Fischer und Christian Ströbele. Dafür zollen ihm Thierse und Nooke Respekt. „Er lässt sich nicht abschieben. Seine Kandidatur hat mich gefreut“, sagt Thierse. Nooke drückt es anders aus. „Dass Schulz Ströbele verhindert hat, macht ihn allein schon sympathisch.“

Die politischen Grabenkämpfe zwischen Schulz und Nooke sind nie befriedet worden. Der Grüne lastet dem „Lausitzer Sturkopf“ Nooke an, dass der 1993 die Fusion mit den Grünen ablehnt hatte. „Nooke hat viel kaputt gemacht, zum Beispiel den Brandenburger Landesverband.“ Und verzeihen kann er ihm bis heute nicht, dass er 1996 mit sechs anderen ehemaligen Bürgerrechtlern in die Union eintrat.

Nooke, Baufacharbeiter und Physiker, war Mitbegründer des „Demokratischen Aufbruchs“, wechselte 1990 zur Initiative „Demokratie Jetzt“, die im Bündnis 90 aufging. Er gehörte als Fraktionschef von Bündnis 90 dem Brandenburger Landtag an. Die Potsdamer Ampelkoalition hielt bis 1994. Vier Jahre später kam der 43-Jährige über die Berliner Landesliste in den Bundestag, wo er 2000 zum Fraktionsvize gewählt wurde.

Thierse und Nooke sind in der Pankower Dreier-Konstellation die härtesten Kontrahenten. Beide verstehen sich als „ostdeutsche Vertreter“, beide sind Moralisten, aber ohne gemeinsamen Nenner. Thierse kämpft gegen rechten Konsens in Ostdeutschland, Nooke wehrt sich gegen eine pauschale Verurteilung von Rechts – und ärgerte sich, wenn er von Thierse als Rechtsaußen dargestellt wurde. Der CDU-Politiker findet Thierses Art, Themen zu setzen, manchmal „übermoralisierend“. Er sei viel mehr Pragmatiker.

Thierse ist ein anderes Kaliber als Nooke, verkörpert inzwischen „das ostdeutsche Gewissen“. Er hat sich in der eigenen Partei unermüdlich Gehör verschafft und unpopuläre Themen wie den aufkeimenden Rechtsradikalismus angepackt, den andere Genossen nur mit der Kneifzange angefasst hätten.

Die Union dagegen hat für ihren Fraktionsvize eine andere Verwendung. Günter Nooke holt man hervor, wenn es um Anfeindungen gegen die SED-Nachfolgepartei geht. Er ist der Sprecher der 42 ostdeutschen Abgeordneten in der CDU-Fraktion: Numerisch fast so stark wie die CSU-Gruppe, aber von deren Schlagkraft weit entfernt.

Das Wort „Bürgerrechtler“ hören alle Drei nicht mehr so gern. Für Nooke ist das Wort als „Begriff für die DDR-Opposition aus dem Westen“ besetzt. Thierse sieht das im Rückblick gelassener: „Die Gegnerschaft zum damaligen System hat uns vereint.“ Werner Schulz ist reserviert: „Bürgerrechtler, das hört sich so an, als ob man die ganze Zeit seinen Kopf in Stasi-Akten gesteckt hat.“ Zwölf Jahre später bringt der Verweis auf diese DDR-Vergangenheit auch nicht mehr Wählerstimmen. Wahlkampf machen Thierse, Nooke und Schulz deshalb mit der Parole „Ich bin ostdeutscher Politiker“. Die drei Bartträger liefern sich im Wahlkreis ein hartes Rennen gegen Sandra Brunner von der PDS, das vielleicht keiner der drei gewinen wird. Wer auch immer siegt: Schulz und Thierse bleiben miteinander befreundet. Thierse und Nooke werden keine Freunde fürs Leben werden. Trotz ihrer gemeinsamen Vorliebe für Vollbärte.

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