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Berlin: Drei, zwei, eins

Addi trägt die Haare lang, einen Ring im Ohr, seine Freundin im Arm, und eine Laune im Gesicht. Es ist der 5.

Addi trägt die Haare lang, einen Ring im Ohr, seine Freundin im Arm, und eine Laune im Gesicht. Es ist der 5. Januar und Addi feiert Silvester. Feiert nach. Mit über 400 anderen Leuten und einem Countdown um zwölf. "Ich bin Tontechniker. Als wirklich Silvester war, habe ich gearbeitet am Flughafen Schönefeld." Vor zwei Jahren stand er auf einem DJ-Turm am Brandenburger Tor. Auch arbeitend und frierend. Die Musik im Saal ist jetzt laut, das Buffet üppig. Nachfeiern wollen sie alle den Moment des Jahreswechsels, die Gastronomen, Krankenschwestern, Feuerwehrleute, Polizisten und Busfahrer. Also noch einmal Bleigießen, noch einmal Wünsche, noch einmal Vorsätze, frische Euro abholen, fremde Leute küssen?

Will man das? Kann man sich einreden, es sei wirklich Silvester? Die Gäste scheinen entschlossen. "So ein gut aussehendes Publikum habe ich noch nie gehabt", behauptet DJ Jens Hermann von BB-Radio von der Bühne. Und man fragt sich, wie er das überhaupt wissen kann, wenn er doch sonst im Radio sitzt. Die Gäste tragen Ballkleider mit hohen Schlitzen, die Schuhe hoch und die Haare hoch. Sie haben pro Person 50 Euro bezahlt und zum Tanzen muss man sie nicht lange bitten.

Modern Talking, die Tische verschwinden im Nebel. Eigentlich weist diese Party ja rückwärts in die Zeit. Und zwar mindestens fünf Tage. Das kann man auch am Programm sehen: Ein Joe-Cocker-Double tritt auf. Es springt ein für das Tina-Turner-Double, das eigentlich gebucht und kurzfristig erkrankt war. Und genau genommen ist die ganze Veranstaltung ja auch ein Silvesterdouble, was will man also. Über dicken Kerzenstumpen gießen Leute Blei. Leute wie Franz Gottwald, Souchef im Novotel Schönefeld sitzen in der Lobby auf den Sofas. Seine Frau Mandy saß Silvester im Call-Center und hat Anrufer beraten, die mit ihren Mobiltelefonen Probleme hatten, "klar rufen da welche an." Beide können nicht aufgeregt sein, auch wenn sie sich anstrengen.

Eine lange Schlange steht vor dem Zelt der Wahrsagerin. Die leidet unter Arbeitsüberlastung und will, dass sich jeder in der Schlange eine möglichst konkrete Frage für sie ausdenkt, damit es schneller geht. Die Kellner hantieren mit immensen Buffetpfannen hin und her und tragen dazu den 5. Januar im Gesicht. Dabei ist es doch jetzt erst kurz vor zwölf, kurz vor Jahreswechsel.

Countdown von der Bühne. Silvester, denkt man, ist ja nicht eigentlich die Party. Sondern ein kollektives Empfinden, und deshalb so kompromisslos unwiederbringlich. Und statt sich um zwölf auf die Magie des Augenblicks zu verlassen, wird eine Videoleinwand heruntergefahren: die Übertragung von vor fünf Tagen vom Brandenburger Tor, das "echte" Silvester. Das macht es hier noch ein bisschen unechter. "New York, New York", Anstoßen, fragende Blicke, manche lachen, Walzertanzen.

"Vielleicht hätte man es Neujahrsparty nennen sollen", sagt jemand und zuckt mit den Schultern. "Silvester war halt schon."

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